Kendrick Lamar und Fritz Kalkbrenner am Schluss des 15. Frequency-Festivals: ein Match zwischen wortreicher Selbstermächtigung und eskapistischen Soundwaves.
Sich hinter Maschinen verschanzt der Welt zu präsentieren, das ist so bubenhaft wie sonst kaum was. Die britischen Chemical Brothers taten es mit Bravour zu zweit. Permanent wurde ein Teil gedrückt, ein anderer entriegelt. So arbeitet man auch bei der Nasa und so geht auch die deutsche Liturgie des Techno.
Fritz Kalkbrenner, ein sympathischer Ostberliner, der ein wenig aussieht wie der legendäre Filmregisseur Rainer Werner Fassbinder nach durchzechter Nacht, hat in St.Pölten ebenfalls ein Pult zwischen sich und der Welt aufgestellt. Uneinsehbar fuhrwerkte er da mit ungeheurem Ernst, obwohl doch jeder ahnte, dass sich dort – anders als bei den Chemical Brothers – kaum Gerätschaften befanden. Kalkbrenner drehte unsichtbare Knöpfchen, holte rares Vinyl aus nicht vorhandenen Taschen und platzierte es auf nicht vorhandene Plattenspieler.
Dieses Vorschwindeln permanenter Beschäftigung – Beamte kennen es aus ihrem Alltag, Langzeitarbeitslose aus ihren AMS-Kursen – bewies den hohen Ethos Kalkbrenners: Er will sich seine Gage mit ein wenig Schweiß verdienen. Seine Musik strahlt derart sündige Entspanntheit aus, dass er glaubt, er müsse sie mit einer Dauerchoreografie erden. Und so wackelte Kalkbrenner permanent, selbst da, wo seine Sounds eine Relaxtheit abstrahlten, zu der man Herzkatheter setzen hätte können. Dennoch war ihm auch nach Absetzen von mehr oder weniger klandestinen Botschaften zumute. „I'm looking for ways over water, I'm looking for ways to go“, sang er mit brummeliger Stimme. „Back Home“, sein bislang größter Hit, ist ein Hymnus an den Aufbruch. „I ain't afraid of leaving“, beteuerte er da mit treuherzigem Blick. Die diesen bärenlieben Gesang auf ihre Schwingen nehmende Musik war von herzerweichender Simplizität. Kalkbrenners übersichtliche Soundarchitektur mutete zudem wie ein Integrationsprojekt für randständige Gesellschaftsgruppen an, denen er selbst angehörte.
Drei Tage Ausnahmezustand, Eskalation und Dauerparty in St. Pölten: Vom Donnerstag bis Samstag traten 120 Acts bei der 15. Ausgabe des Frequency Festivalsauf. Am ersten Festivaltag gab es sozialkritischen Punkrock, pumpenden Dancehall-Pop, provokativen Deutschrap und vieles mehr. Bei den kalifornischen Altpunks Bad Religion war der Andrang vor der größten Bühne (Space Stage) überschaubar. Macht nichts. Gut gelaunt stimmte die Band um Sänger Greg Graffin Hits wie "American Jesus" und "Punk Rock Song" an. Text: Maciej Palucki und Heide Rampetzreiter, Fotos: Maciej Palucki und Herbert P. Oczeret (APA) (c) APA/EPA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) Viele zogen es wohl vor sich an den zahlreichen Essenständen - neben dem obligatorischen Fast-Food (Pizza, Pommes, Gebackenes) gibt es heuer etwa Tierisches (Spanferkel) und Veganes (Falafel). Die Hipster-Esskultur (vegan, lokal, gesund) hat ihren Weg nach St. Pölten gefunden. (c) Palucki Regionale Werbung darf bei einem Festival nicht fehlen, wobei die meisten Besucher das Bier dem Wasser aus St. Pölten dem Vortritt gaben. (c) Palucki Oder sie traten den wetterbedingt beschwerlichen Weg durch den niederösterreichischen Schlamm, um das Schuhwerk zu wechseln. Gummistiefel waren die eindeutig beste Wahl am Donnerstag, denn in der Nacht zuvor hatte es geregnet. (c) Rampetzreiter Weniger beschwerlich war heuer der Weg zum Nightpark. Musste man in den Vorjahren mit einem Shuttlebus zur Kaserne fahren, machten Tanzwütige heuer das VAZ St. Pölten, das sich unmittelbar neben der Hauptbühne befindet, zu ihrem Tempel. (c) Palucki Das erste musikalische Pendant zum diesjährigen Slow-Food-Trend am Frequency war José Gonzalez. Der schwedische Singer-Songrwriter begeisterte auf der Green Stage seine adrett gekleidete Fanschar mit melancholisch-träumerischen Hymnen ("Heartbeats"). (c) Palucki Reduziert wie die - meist einfärbigen Visuals - ist die Musik der britischen Band Alt-J. Die Sieger des Mercury Music Prize 2012, verweben rollende Drums und mehrstimmigem Gesang. Schön! Die elegischen Sadness-Hymnen sind freilich nichts, wo den Zuhörern durch Beinarbeit warm wird, sondern Einladung zum sanften Oberkörperschaukeln. (c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) Eine 180-Drehung wurde anschließend mit der deutschen Rap-Formation K.I.Z. vollzogen. "Ein K.I.Z.-Konzert ist keine demokratische Veranstaltung", rief die Band in die Menge. Und das waren im Vergleich zum vorigen Künstler (José Gonzalez) auf der kleineren "Green Stage" ganz schon viele. (c) Palucki Ob die Mehrheit der Besucher die Doppelbödigkeit und (den zum Teil sehr) schwarzen Wortwitz der Texte, der manchesmal im Widerspruch mit den pumpenden Bässen steht, versteht? Wir wollen es hoffen. (c) Palucki Es mutet schon seltsam an, wenn Tausende junge Leute bei einer Popveranstaltung lautstark "Adolf Hitler" - die dazugehörige Nummer heißt "Ich bin Adolf Hitler" - rufen. "Tanz den Mussolini" 2.0. Doch K.I.Z. haben auch klare Botschaften: "Denkt ihr, die Flüchtlinge sind in Partyboote gestiegen? Mit dem großen Traum, im Park mit Drogen zu dealen?" fragten sie. (c) Palucki Anschließend versammelte sich wohl die größte Zuhörerschaft des ersten Festivaltages. Sie gaben sich der urban-elektronischen Mischkulanz mit Großraumdisco-Momenten ("I Like To Move It") von Major Lazer hin. Die beiden Produzenten Diplo und Switch hatten vor sieben Jahren das dancehall-lastige Projekt gestartet. Mittlerweile tummeln sich Major Lazer weltweit in den Charts - auch der Sender Ö3 hat sie entdeckt ("Lean On"). (c) Palucki In St. Pölten erdrückten Major Lazer die Masse nicht nur mit fast schon beängstigenden Beats, sondern verkauften auch Botschaften: "Peace is the Mission" (so heißt auch das aktuelle Album). Während die Konfettikanonen und Bass-Salven abgefeuert wurden, wirkte der Auftritt der heimischen Indie-Band Catastrophe & Cure in der Halle (Weekender-Stage) wie auditives Wellness. (c) Palucki Vor fünf Jahren kürte die BBC in der "Sound of"-Liste Ellie Goulding zur vielversprechendsten Newcomerin, die nebenan auf der "Green Stage" auftrat. Seitdem ist sie im Mainstream angekommen. Die 28-Jährige mit der zart rauchigen Stimme macht Pop - und der klingt eher nach Formatradio als nach FM4, dem am Festival allseits präsenten ORF-Jugendsender. Sie Sängerin trommelte und tanzte und turnte über die Bühne. (c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) Bei Ellie Gouldings Hit "Love Me Like You Do", dem Soundtrack zur Erotik-Schmonzette "Fifty Shades of Grey", stimmte die weibliche Zuhörerschaft im Chor ein. Solide. Nächstes Jahr Donauinsel bitte. (c) Palucki Die Melodie von "Indiana Jones" stimmte auf der "Green Stage" anschließend auf Casper ein. "Das ist kein Abschied, denn ich war nie willkommen", begann der deutsch-amerikanische Rapper. Fürs Frequency stimmt das freilich nicht, denn, wie der 32-Jährige bemerkte: "Das Frequency ist eines meiner Lieblingsfestivals. Und zum ersten Mal bin ich hier Headliner". (c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) Der rebellische Melancholiker unter den deutschen Rappern turnte zu beeindruckenden Visuals auf einer riesigen LED-Wand über die Bühne und versuchte, die Festivalbesucher mitzureißen: "Springt mit uns," rief Casper. Einige Zuhörer waren schon vor der Kälte in ihre Zelte oder in den Nightpark geflüchtet, der Rest kam der Bitte gerne nach. (c) APA/EPA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) Kuck mal, wer da spielt? Die ersten Minuten des Headliner-Auftritts der Chemical Brothers auf der Hauptbühne "Space Stage" wurde wegen der nicht enden wollenden Nebelschwaden und Laser zu einem Suchspiel. (c) Palucki Dann erkannte man sie aber doch, die beiden britischen Big-Beat-Pioniere. Zumindest einen der beiden: Denn Ed Simons, eine Hälfte der Chemical Bros, steht für Live-Auftritte nicht mehr zur Verfügung. So stand die andere Hälfte, Tom Rowlands, mit dem nicht weniger sympathisch wirkenden Adam Smith auf der Bühne. (c) Palucki In den 90er Jahren prägten sie von der Arbeiterstadt Manchester die damalige Big-Beat-Musik. Es folgten Zusammenarbeiten mit Noel Gallagher ("Setting Sun") und dem Rapper Q-Tip ("Galvanize"). Die erstaunliche Bandbreite zeigten die chemischen Brüder auch bei ihrem Konzert in St. Pölten. Die Beinahe-Pausen zwischen ihren Nummern (es ist schließlich ein Konzert) wählten sie bewusst, auch wenn dies bei manchem Besucher ein leichtes Unbehagen auslöste. Nicht nur musikalisch, auch visuell funktionierte der Auftritt. Kein Konfetti-Klotzen wie bei Major Lazer, sondern eklektisches Kleckern. Die Brüder haben es wieder einmal hinbekommen. (c) Palucki Ein Festival hinterlässt Spuren. Vor allem für jene Frequency-Besucher, die bereits am Dienstag angereist sind, da hat es ja noch geregnet. Am Freitag, dem zweiten Festivaltag, trocknete der Schlamm allmählich - und vergrub alles, was sich darin verbirgt. Das Line-Up führte zurück in die Neunziger – zumindest am späteren Abend mit den Headlinern The Offspring und The Prodigy. (c) Presse Digital Die vorige Nacht steckte vielen noch in den Knochen. So konnte man in den Nachmittagsstunden seine Lieblingsbands ohne Platzangst genießen. Das galt etwa für Dawa. Die österreichische Folk-Band um Sänger John Dawa hat seinen Bekanntheitsgrad seit dem ESC-Vorentscheid erhöht und sich zu einer der besten Live-Bands des Landes entwickelt. Das intim-stimmungsvolle Konzert gehörte zu den stillen Höhepunkten des zweiten Festivaltages. (c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) Frittenbude ist nicht das Synonym für das kulinarische Angebot der vergangenen Festivaljahre, sondern eine Band aus Deutschland. "Alle Hände in die Höhe, als würdet ihr die Erde wegschieben", verlangte Leadsänger Johannes Rögner. Zumindest den Alltag schiebt man auf einem Festival ja ein paar Tage weg. Musikalisch erinnert das Trio an Deichkind, allerdings sind die Wahl-Berliner weniger anarchisch und textlich deutlich weniger durchdacht. "Wir sind alle nur Clowns im Zirkus des Lebens", heißt es in "Wings". Ja eh. (c) Presse Digital Auf dem dicht besiedelten Zeltplatz hatten die Müllsammler alle latexbehandschuhten Hände voll damit zu tun, dass Motto "Party Hard - but clean" durchzusetzen. Am zweiten Festivaltag, und für viele Besucher dritten oder vierten Campingtag, glich das Gelände rund um die Traisen bereits einer Müllhalde. Der Namen "Black Hole" wurde offenbar nicht umsonst so gewählt. (c) Presse Digital Macht nichts, spielt man halt mit Müll. Neben den beliebten Trinkspielen wares am Frequency auch Mode, um einen Stock herumzulaufen, so lange, bis einem richtig schwindelig wird. Heuer aufgrund der niedrigeren Temperaturen weniger beliebt: Das traditionelle Schlammbad. (c) Presse Digital Unter der Brücke haust sonst niemand gern, es sei denn, es ist Festival. Dann gehören die trockenen, wenngleich lauten Plätze unter der Autobahn zu den beliebtesten. (c) Presse Digital Zurück zum musikalischen Angebot: The Wombats haben auch Jahre nach ihrem Alternative-Hit "Let's Dance To Joy Division" noch eine beachtliche Fangemeinde. Gut aussehende junge Menschen mit Jutebeuteln wippten auch in St. Pölten zum zappeligen bis hymnenhaften Indie-Rock. Fühlte sich wie 2007 an. (c) Presse Digital War zwischen den Bands auf den Bühnen Pause, wurde das Publikum weiter hinten bespaßt. "Jetzt eskaliert's, Frequency!", schrie der DJ vom Dach des Markenauftritts von Desperados. Durch die Luft flog Konfetti - und Schaum, wie anno dazumal auf der Maturareise. Für die meist jugendlichen Festivalbesucher ist die ja nicht allzu lange her (wenn sie nicht noch vor ihnen liegt). (c) Presse Digital Bei einem Festival kann man einiges Geld liegen lassen. Über 100 Euro kostet der 3-Tages-Pass - Speis' und Trank' selbstverständlich noch nicht mitgerechnet. (c) Presse Digital Nach der kanadischen Weichspüler-Punkrockband Simple Plan - der Name ist Programm - ruhten die Hoffnungen auf etwas mehr Komplexität und Tiefe auf Kwabs. Der Londoner Soul-Sänger mit ghanaischen Wurzeln ist nach seinem Charts-Erfolg "Walk" auch hierzulande bekannt. (c) Presse Digital "I came all the way from London to se you", sagte der Soul-Sänger. Er coverte den Hit "Lean On" von Major Lazer, die am Vortag die Massen zur Hauptbühne lockten – in einer sanfteren, lässigeren Variante. Ob es an der Anziehungskraft von The Offspring lag, die anschließend auf dieser Bühne spielten, oder dem cleveren Mix aus Elektronik und Soul: Das Publikum war zahlreich - und tanzte begeistert. Der Besuch hat sich für Kwabs und die Zuhörer ausgezahlt. (c) Presse Digital Nicht nur auf dem Foto sahen die ins Alter gekommene Punk-Rocker von The Offspring gelangweilt aus. Recht unmotiviert spulten die Kalifornier ihr Programm ab. Das Feuer, das auch das Cover ihrer zweiten Platte "Ignition" (1992) ziert, ist heutzutage nicht mehr zu erkennen. Wenig überraschend waren es die älteren Stücke ihres millionenfach verkauften Albums "Smash" (1994), die besonders gut ankamen. (c) Presse Digital Über mangelndes Interesse seitens des Publikums konnten sich aber The Offspring nicht beschweren. Wie eine Mauer standen die Besucher vor der Bühne eng beisammen, was auch die Sanitätereinsätze erschwerte. "Wavebreaker" heißen die Metallgitter, die im Publikumsraum strategisch positioniert werden, damit es vorne nicht zu voll wird und niemand erdrückt wird. Bei der kleineren "Green Stage" hätte man am Freitagabend einen solchen Wavebreaker gebraucht. (c) Presse Digital The Prodigy, wir haben leider kein Foto für euch. Der "Presse" (und der APA) war es nicht erlaubt, den Headliner auf der großen "Space Stage" zu fotografieren. Man kann sich auch die Fotos vom Nova Rock-Auftritt aus dem Vorjahr (inklusive Keith Flint im Mundl-Shirt) ansehen, geändert hat sich nicht viel. Auf den Seitenwänden flimmerten die Silhouetten der Musiker in schwarzweißen verrauschten Bildern. Auf der Bühne waren sechs gigantische beckenartige Dinger aufgehängt, dren Funktion sich nicht erschloss. Auch musikalisch gab es nicht viel Unterschied zum Auftritt von einem Jahr. Nach dem starken Auftakt mit "Breathe" (von 1996) flaute die Energie der Elektro-Punks ab, insbesondere bei der seltsam eckigen Version von "Firestarter".Am Samstag, dem letzten Festivaltag, gastieren Kendrick Lamar, TV On The Radio und Linkin Park in der niederösterreichischen Hauptstadt. Noch einmal strömten die Massen in Richtung der Festival-Bühnen. Am Samstag waren geschätzt in etwa gleich viele Besucher am Gelände wie am Vortag. Bei deutlich höheren Temperaturen sah man nur noch vereinzelt Regenstiefelträger. (c) Presse Digital Abkühlung holte sich so mancher Festivalgast bei der von einem Softdrinkhersteller gesponserten Dusche. (c) Presse Digital Der Himmel war blau, für die Wolken sorgte der deutsche "Schauspielrapper" Alligatoah. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, auch ob ein Musiker in diesen Zeiten einen Sprengstoffgürtel tragen sollte. "Welcher Gott hat den längsten Penis", fragt Alligatoah. Infantiler Humor-Rap, der aber den Nerv des Publikums traf. Vielleicht auch dank Zeilen wie "Willst du mit mir Drogen nehmen?" (c) Presse Digital Deutlich erwachsener war das Publikum bei TV on the Radio. Mit einem langsamen, noisigen Intro starteten die New Yorker in ihr Konzert, das sich leider zum Teil mit jenem von Kendrick Lamar überschnitt. Die New Yorker Band um Sänger Tunde Adebimpe begann noch dazu mit etwas Verspätung. Auch nur eine Minute zu verpassen, ist schade, denn diesen engmaschige Klangteppich aus Rock, Elektronik, Hip-Hip, Jazz (mit Posaune!) und Punk spürt man von den Haaren bis ins Tanzbein. Das Sextett startete mit "Young Liars", später kam auch noch ihr auf FM4 gern gespielte Trennungssong "Happy Idiot". Erdig. Fantastisch. Und leider vor viel zu kleinem Publikum. (c) Presse Digital Wohlfühltechno zur untergehenden Abendsonne. Nur wo war der Verantwortliche? Im Fotograben erkannte man ihn - dank des überdimensionalen DJ-Pult-Aufbaus - nicht. (c) Presse Digital Na bitte, zumindest seinen schönen Scheitel zeigte Fritz Kalkbrenner. Die Besucher dahinter sahen schon deutlich mehr. Und wippten zufrieden zu "Back Home" und "Sky and Sand". (c) Presse Digital Sky and Sand? Schön und gut. Aber nur das Vorprogramm für King Kendrick. Für das Engagement des derzeit wohl interessantesten Rap-Künstlers, Kendrick Lamar, gebührt den Veranstaltern ein römischer Einser (den man für das gesamte Programm wohl nicht geben kann). Mit seinem dritten Album, dem Meisterwerk "To Pimp a Butterfly", ist er zweifellos der musikalisch relevanteste aktuelle Act des heurigen Festivals. Live brachte Kendrick Lamar, begleitet von einer Band in klassischer Rockbesetzung, viel aus dem Vorgängeralbum "Good Kid, M.a.a.d. City". (c) Presse Digital 15 Minuten Verspätung erlaubte sich der heimliche Headliner am Samstag (auf der großen "Space Stage" konzertierte anschließend noch Linkin Park). Erst ertönten Motorengeräusche, dann betrat der Rapper unter Jubel die Bühne, gewandet in grauem Kapuzenpulli und hellblauer Jeans. Im Hintergrund flimmerten Bilder aus seiner kalifornischen Heimatstadt Compton, Geburtsstadt des Gangsta-Rap, in Homevideo-Optik. Das wirkt "down to earth". Wie auch die Zwischenansagen des 28-Jährigen. (c) Presse Digital "Auch ihr seid von der Westküste, weil ihr Kendrick Lamar und Legenden wie Dr. Dre, NWA und Snoop Dogg hört", sprach er zum Publikum. Auch wenn die Besucher nicht jede Message des Kaliforniers verstanden (wir alle sind seine "Homies", könnte man zusammenfassen), goutierten sie den Auftritt mit Fußball-artigen "Kendrick, Kendrick"-Sprechchören. Ein bisschen Atemlos geriet "King Kunta", oder wollte Lamar das Publikum zum Mitrappen bringen? Egal. (c) Presse Digital Das letzte Konzert auf der Hauptbühne bestritt ebenfalls ein Act aus Kalifornien, die wuchtige Rockband Linkin Park. (c) Presse Digital Die Amerikaner sind oft gebuchte Gäste, spielen sie gefühlt (oder tatsächlich?) jedes Jahr alternierend bei Nova Rock und Frequency. In St. Pölten fühlten sich daher wie zuhause und wurde auch gleich mit dem Publikum warm: "You guys are on fire. I love it", freute sich der schlaksige Sänger Chester Bennington. (c) Presse Digital Fans des härteren Rock und Rapid-Fans (sind Linkin Park Fans der Grün-Weißen?) kamen somit zum Frequency-Finale doch noch auf ihre Kosten. Denn die Übermacht der Mainstream-Elektronik war nicht zu überhören (das lag nicht nur am geographisch näher gerückten Night Park): Major Lazer, Nero, Martin Garrix bekamen Headliner-Slots - wohl auch um mit dem zeitgleich stattfindenden Lake Festival am Schwarzlsee zu konkurrieren. Das nächstes Jahr bitte mehr Kendrick, weniger Konserve. (c) Presse Digital Frequency: König Kendrick und die Übermacht der Elektronik Reine Melodie, Sehnsucht nach Leere Nach Jahren des reuelosen Lärmens im Techno-Underground zelebriert er nämlich nun nichts als die reine Melodie. Ganz so, als wolle er etwas ins Gleichgewicht bringen. Natürlich klatschen noch ein paar Beats ans Ohr. Sie tun es aber mit viel Freundlichkeit. Manchmal pumpen sie auch ein wenig heftiger. Etwa beim fantastischen Opener „Void“, einem Lied, das am dritten Festivaltag eine gewisse Sehnsucht nach Leere nach der großen Reizüberflutung ausdrückte. Der Gestus des Progressiven war rar. Am ehesten noch bei Instrumentals wie „Kings In Exile“ und „Bruimare“. Im Grunde setzte Kalkbrenner aber auch hier Pelargonien an die leicht verschmutzten Fenster einer Jugend, die es vielleicht nie gegeben hat. Gefesselt von den gesellschaftlichen Forderungen, aber wohl noch mehr von den eigenen Träumen gelüstete es viele nach nichts mehr als einem umfassenden Eskapismus. Kalkbrenner bot ihn und wurde hierfür bejubelt.
Nach ihm debütierte der US-Rapper Kendrick Lamar in Österreich, das neueste Geschütz, das das berüchtigte Compton in Anschlag gebracht hat. Seit den Tagen von N.W.A. und Ice Cube Mitte der Achtzigerjahre wird hier die Welt radikal neu gelesen. Aus dem, was sich in den Ghettos im Großraum Los Angeles abspielt, sollen Lehren gezogen werden. Angetreten mit Schlagzeug, Bass, Gitarre und einem Laptop entwarf Lamar seine Marke von Klassenkampf mit „Money Trees“ recht relaxt. „A silver spoon I know you come from, ya bish. And that's a lifestyle that we never knew.“ Den „Backseat Lifestyle“, den er in der zweiten Nummer geißelte, den kannte er nie. Weil: „I been hustlin' all day, this a way, that a way, through canals and alleyways, just to say.“
Dazu griff er sich permanent in den Schritt, als sei dort die Lösung aller Probleme zu finden. Die herzige Wendung „Halle Berry or Hallelujah?“ ließ der Transzendenz ein Türchen offen. Obwohl natürlich in solchen Landstrichen der Schrecken des Faktischen dominiert, wie er ihn in „m.A.A.d. city“ entwarf. Dagegen hilft nur die Gemeinschaft. „The hood took me under, so I follow the rules“, erklärte er mit ätzender Stimme die Logik des immer noch problematischen Grätzels. Mit mächtig anschiebenden Raps wie in „The Recipe“ und „King Kunta“ sorgte er für Ekstase, scheute aber auch nicht trügerisch Ruhiges wie „Westside, Right on Time“. Weihrauch und bleihaltige Luft waren hier kein Widerspruch: „All praise go to the most high, all fades turn into a drive-by.“ Die begeisterten Reaktionen auf Lamars durchaus diffizil angelegte Performance sollten die Veranstalter ermutigen, in Hinkunft nicht nur abgehörten Trash à la Linkin Park und The Offspring zu buchen. Wohlan!
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2015)
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