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Ice Cube: „Auch ich bin jetzt nicht bewaffnet“

Producer Ice Cube poses at the premiere of ´Straight Outta Compton´ in Los Angeles
Producer Ice Cube poses at the premiere of ´Straight Outta Compton´ in Los Angeles(c) REUTERS (MARIO ANZUONI)
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„Straight Outta Compton“. Am Rande der Filmvorführung in Berlin erzählte der legendäre Rapper Ice Cube der „Presse“, warum Reime wie Molotowcocktails wirken.

Die Presse: „Straight Outta Compton“ hat schon am ersten Wochenende 60,2 Millionen Dollar eingespielt. Sind Sie als Koproduzent zufrieden?

Ice Cube: Es ist natürlich ein fantastisches Gefühl. Ich finde es cool, dass die Leute miterleben können, durch welche Himmel und Höllen wir damals gegangen sind.

Wann kam die Idee auf, einen Film über N.W.A. (Niggaz Wit' Attitude)?

Im Kopf hab' ich das seit sicher 13 Jahren. Auch Dre wollte immer, dass der Film entsteht. Vor circa fünf Jahren begann die Sache Schwung zu bekommen. Es ist gut, dass es langsam passiert ist. Das Wichtigste war, ein gutes Team zusammenzustellen, den richtigen Regisseur zu finden, weil es eine Million Möglichkeiten gibt, einen Film wie „Compton“ zu verhauen.

Was war das Signifikante an N.W.A.?

Wir haben nicht nur die Musik, sondern die Popkultur selbst verändert. Unsere Botschaft war: ,Kümmere dich nicht um die Erwartungen von Radios oder Management.‘ Wir machten es salonfähig, rüde zu sein. Wir rappten, was andere sich nicht einmal zu denken trauten. Irgendwann mussten uns die Radiostationen doch spielen. Sie setzten über alles, was ihnen nicht gefiel, einen Piepston. Das gab es vor uns in der Musik noch nicht.

Wie beurteilen Sie den heutigen Hip-Hop?

Hip-Hop wurde von Programmdirektoren gekidnappt. Die heutigen MCs schreiben nur Booty-Raps, also Reime, die hauptsächlich von Drogen und Sex handeln. Das wird in den Radios gespielt. Politisch Aufgeladenes wird negiert beziehungsweise kaum noch produziert.

Was ist die heutige Relevanz von „Fuck tha Police“, dem Song, der damals den größten Wirbel ausgelöst hat?

An der Relevanz hat sich leider nichts geändert. Durch die jüngsten Polizeiübergriffe ist „Fuck tha Police“ unverändert aktuell. Wir mussten nur ein wenig Fiktion in die harte Wahrheit der Ghettos mischen. Das Recht, uns mit Kunst gegen Autoritäten aufzulehnen, haben wir. Die richtigen Reime wirken wie Gewehrkugeln und Molotowcocktails.

Wieso hat Dr. Dre den Song damals nicht aufnehmen wollen?

Weil er damals nur auf Bewährung frei war. Er befürchtete eine richtige Gefängnisstrafe, falls der Song in Umlauf käme. Ich hatte meine Verse schon in den Papierkorb geworfen. Ein Freund holte sie wieder heraus und meinte: „This shit is dope. You can't throw that one away.“ Also hab' ich es den Jungs nochmals präsentiert. MC Ren war begeistert, Dr. Dre akzeptierte. Nur DJ Yella zeigte Nervosität.

Nach der Aufnahme bekamen N.W.A. einen Brief vom FBI. Was stand da drin?

Das FBI wollte uns einschüchtern. Sie haben uns ihre Sicht dargelegt und verlangten, dass wir darauf verzichten, „Fuck tha Police“ live zu spielen. Für meine Begriffe fiel da die Staatsmacht aus der Rolle. Eine Regierung hindert Künstler nicht an ihrer Arbeit, schon gar nicht in einem Land, das sich in seinem Grundrechtskatalog der freien Meinungsäußerung verschrieben hat. Das war absurd, aber von der Bedrohung her sehr konkret.

Hatten Sie nie das Gefühl, Sie würden als N.W.A.-Texter zu weit gehen?

Nein. Wir rappten, was wir fühlten und dachten. Diese Lieder sind wie Zeitkapseln. Da würde ich im Nachhinein niemals etwas daran verändern. Wenn sich auch manche heute noch beschweren, aber N.W.A. haben existiert, um die Menschen aufzurütteln, um sie zu verstören. Man darf es sich im Unrecht nicht gemütlich machen.

Was war das konkret in Compton?

Die Polizei hat den Gangs den Krieg erklärt und geglaubt, sie müsse alle Jugendlichen, die Goldketten und Käppchen getragen haben, drangsalieren. So einfach darf man es sich als Polizei nicht machen.

Sind Sie als vielfacher Millionär noch zeitweilig in Compton?

Natürlich. Freunde und Teile der Familie leben dort. Ich bin der Einzige, der es herausgeschafft hat. Trotzdem lässt es mich nicht los. Ich fühle mich wohl dort. Es erdet mich.

Hat sich irgendetwas verbessert in den letzten Jahrzehnten?

Doch, schon. Durch die Neuen Medien gibt es sehr schnell Zeugen der Übergriffe. Und es gibt ein stärkeres Bewusstsein dafür. Furchtbar ist, dass so viele unbewaffnete Menschen getötet werden. Auch ich bin jetzt nicht bewaffnet.

Keine Sorge. Das ist in Europa durchaus üblich. Sie haben doch keine Angst?

Doch. Auch in Europa bereitet es mir Unbehagen, dass bewaffnete Polizisten herumlaufen und mich jederzeit töten könnten. Manche hätten, wie man weiß, sogar Spaß daran.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2015)

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