Pop

Übersteigert wie die Dietrich: In Saalfelden spielt der Jazz

(C) Rania Moslam
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Das 36.Jazzfestival Saalfelden wurde am Freitag von Maja Osojnik, Chris Lightcap und Rob Mazurek eröffnet. Bravourös.

„Dunkle Materie“, orakelte Schlagzeuger Lukas König noch kurz vor Beginn des Festivals im Schatten des Kaffeerösters in der VIP-Zone über die zu erwartenden Sounds. Um so erstaunter war man, als das von der intellektuell promiskuitiven Maja Osojnik ausgerichtete Eröffnungskonzert mit lyrischen Passagen labte. Trotz allem Augenmerk auf ein gewisses Level an Abstraktheit blühten da die schönsten Melodien auf. Inhaltlich wehrt sie sich gegen Etikettierungen aller Art. Selbstverständlich verlief die Frontlinie auch dort innerhalb zwischenmenschlicher Beziehungen. „How can you demand my total trust?“, fragte sie in „Waiting for the Sun to Fall“. Die grundsätzlich aufrührerische Musik des Kollektivs gewann kammermusikalische Anmutung.

„I become an empty street so you can walk on me“, rief Osojnik ironisch. Das erinnerte in seiner übersteigerten Unterwerfungsgestik an Marlene Dietrich. Dieses frühe Sinnbild der emanzipierten Frau pflegte ihre Geliebten gern zu necken: „Ich bin nichts als eine Köchin, bereit, ihnen aufzutragen.“ Dem symbolischen Gehorsam folgten kriegerische Handlungen. Die Dietrich servierte Cholesterinbomben, Eierspeisen, die mit fast einem Viertelkilo Butter angemacht waren. Osojnik und ihre fabelhaften Mitstreiterinnen, die slowenische Pianistin Kaja Draksler und die Cellistin Audrey Chen, schlugen gefährlich stille Klänge an. Das dann einsetzende stimmliche Furioso, zu dem Chen ihre berüchtigten „reality-piercing vocals“ beitrug, peitschte Losungen wie „You can throw your shit on me“ ans Ohr. Es war possierlich anzusehen, mit welcher Beflissenheit hier die Regression in ein Paradies der Unreife geübt wurde. Um die Route besser zu versinnbildlichen, warf König in weniger beschäftigten Momenten Ping-Pong-Bälle ins Auditorium. Ja, Fühlung mit der eigenen Infantilität aufzunehmen, das war eine Strategie, der viele etwas abgewinnen konnten.


Melodien wie von Coleman. Die nächste Band, Chris Lightcap's Bigmouth, war streberischer, weil sie mehr oder weniger ungeniert an die klassische Melodieschule des Ornette Coleman andockte. Delikates Wurlitzer-Piano und fluffiges Bassspiel waren die Abschussrampe für das glühende Unisonospiel der Saxofonisten und die unorthodoxen Rhythmen des Schlagzeugers Gerald Cleaver. Die traumverlorene Ballade kurz vor Ende war von besonderer Eindringlichkeit.

Rasch entflammbar war dann auch der Dschungeljazz der nachfolgenden Kombo des amerikanischen Kornett-Spielers Rob Mazurek: spitze Schreie, elektronische Effekte, erdige Congaklänge und eine übergeschnappte Violine prägten die ausgeflippte Performance. Mazurek deklamierte mit nicht zu wenig Pathos seine Art von Kunstverständnis: „Foo fighting can be an art, boxing can be an art, loving is definitely an art.“ Was für ein Labsal, sich im Zeichen der Intensität von der Ethik des Verstehens zu vertschüssen!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2015)

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