Pop

Keith Richards erinnert sich (nicht)

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Konservativer geht's nicht: Der Rolling-Stones-Gitarrist grundelt auf seinem dritten Soloalbum „Crosseyed Heart“ tief in der amerikanischen Tradition.

Manche glauben, dass es ein geniales Album ist“, lästerte Keith Richards unlängst über die auch schon 48 Jahre alte Beatles-Platte „Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band“, „aber ich halte es für einen Mischmasch aus Müll, ganz ähnlich wie ,Satanic Majesties‘.“ Das war die Platte, mit der die Rolling Stones 1967 auf „Sgt.Pepper's“ antworteten, und tatsächlich, sie klingt auch heute noch stellenweise etwas lasch: Mick Jagger, der eine offenbar schwer zugedröhnte Partie zum Mitsingen aufforderte, wirkte etwas neben seiner Rolle...

War Keith Richards damals dabei? Zumindest Augenzeugen und das lässige Gitarrenriff von „Citadel“ sprechen dafür. Aber kann er sich erinnern? „I can't recall my past“, singt er brummend auf „Amnesia“, einem der Songs seines Albums „Crosseyed Heart“: „I'm nowhere.“ Fans von Richards-Sprüchen wird das daran erinnern, wie sich der alte Gitarrist bei Konzerten ans Publikum zu wenden pflegt: „It's good to be here“, sagt er da, dann macht er eine lange Pause, um ein unendlich abgeklärtes Grinsen aufzusetzen: „You know, it's good to be anywhere.“

In diesem Sinn: Keith Richards ist noch da, und er ist wieder da, mit einem neuen Soloalbum. Es ist, streng gerechnet, erst sein drittes, nach „Talk Is Cheap“ (1988) und „Main Offender“ (1992); daneben ist er freilich auch u.a. mit einer von Ron Wood geleiteten Band namens New Barbarians seinem Compagnon Mick Jagger untreu geworden. Die Wellen der Hassliebe zwischen den beiden „Glimmer Twins“ hatten ja immer etwas damit zu tun, wer gerade ein Soloalbum herausbrachte, Richards sprach über Jaggers Single-Aktivitäten gern als Verrat.

Mick Jagger fand keinen Altersstil

Nun hat Mick Jagger seit „Goddess In The Doorway“ (2001) kein Album mehr veröffentlicht, es scheint, dass er sich damit abgefunden hat, dass er, der nach Jugend Süchtige, keinen Altersstil finden kann. Richards hat damit keine Probleme: Er hat seinen Altersstil spätestens 1972, auf „Exile On Main Street“, gefunden, und bleibt ihm seither treu: Im Wesentlichen ist es der Blues, der vor ihm da war und nach ihm da sein wird. Der Blues, an den man sich nicht erinnern muss, weil er sich an einen erinnert. Keith Richards, den wir nicht zu den Frühaufstehern zählen – obwohl, wer weiß? –, hat ihn, wie sich das gehört, schon in der Früh. Darüber singt er in „Blues in the Morning“, und über eine andere morgendliche Erscheinung namens „hard-on“ sowie die „holes in my pocket“, die kennen wir ja schon aus „Happy“ (1972), wo er sang, der alte Tunichtgut: „Never kept a dollar past sunset, always burnt a hole in my pants.“ Ja, ja, das Leben rollt wie ein Würfel, das tat es einst in „Tumblin' Dice“, das tut es heute in „Something for Nothing“. Und „honey“ reimt sich auf „money“, das muss so sein, das weiß auch Kollege Bob Dylan. (Der im Alter, wie ein kluger Kollege bemerkt hat, gar nicht so weit weg von Richards ist.)

Alte Reime, alte Sätze, alte Geschichten, alte Weisheiten. „Somehow it all gets spun around in your brain and it has to come out“, wird Richards im Begleittext des Albums zitiert: „You can't stop it.“ Der Sänger ist da nur ein Medium. Es gilt das Gegenteil von dem, was Jagger einst sang: Es ist der Song, nicht der Sänger.

Der amerikanische Song. Nichts auf diesem Album erinnert mehr daran, dass die Rolling Stones einst englische Buben waren, die sich die amerikanische Volksmusik aneigneten, aber in ihre Welt übersetzten. Die Stones hätten nichts sein wollen als eine Bluesband, sagt Richards gern: Dass sie mehr wurden, sei halt passiert. „Crosseyed Heart“ klingt, als ob es nie passiert wäre. Kein „Their Satanic Majesties Request“, aber eben auch kein „Satisfaction“.

Duett mit Norah Jones

Darum passt auch die junge Jazz-Traditionalistin Norah Jones so gut dazu. Ihr Duett auf „Illusion“ mit Richards – der hier wohl die ausgefeilteste Melodie seines Lebens singt – ist genauso bezaubernd wie fatalistisch: Die größte Illusion wäre es, dass noch irgendetwas Unerwartetes geschehen könnte. Jones und Richards drücken einhellig aus, dass sie das nicht glauben.

Ansonsten: gewohnte Kräfte. Steve Jordan spielt wie Charlie Watts, wenn ihm alles gleich ist; Waddy Wachtel lässt die Slideguitar nachdenklich heulen; auf „Amnesia“ und „Blues in the Morning“ hört man noch den inzwischen verstorbenen Bobby Keys am Saxofon. „Bobby war Rock'n'Roll“, attestiert Keith Richards posthum seinem Freund.

Blues, Rock'n'Roll, Memphis Soul (auf „Lover's Plea“), Country („Robbed Blind“), Reggae („Love Is Overdue“), Folk („Goodnight Irene“ von Leadbelly). Richards führt alle Genres vor, auf die er sich versteht. Dass er von anderen, Jüngeren nichts hält, hat er im Interview deutlich gesagt: Rap habe gezeigt, dass es viele unmusikalische Menschen gebe („Alles, was die brauchen, ist ein Schlagzeug-Beat, und jemanden, der dazu herumschreit“); Metal sei „einfach ein großer Witz“.

Mit solchen Sprüchen und mit diesem Album hat sich Keith Richards einen Ehrentitel verdient, um den ihn Mick Jagger nicht beneiden wird: Großonkel des Jahres.

ZUR PERSON

Keith Richards, geboren 1943 in Dartford, einem Vorort von London, gründete 1962 gemeinsam mit Mick Jagger, Brian Jones und Ian Stewart die Rolling Stones, er hat sie nie verlassen, gemäß einem seiner klassischen Sprüche: „The only way to leave the Stones is in the box.“ Seit 1969 singt er auf jedem Stones-Album mindestens einen Song selbst, live bringt er davon am häufigsten „Happy“ und „Before The Make Me Run“. In zwei Filmen der Reihe „Pirates of the Caribbean“ spielte Keith Richards den Captain Teague Sparrow. 2010 erschien seine kluge und witzige Autobiografie „Life“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2015)

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