Erlesenes Abschiedsfest des Jazz-Pioniers

Highlight. Österreich-Debüt von Lisa Simone, Tochter der legendären Nina Simone.
Highlight. Österreich-Debüt von Lisa Simone, Tochter der legendären Nina Simone. (c) Frank Louriu Agence VUr
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Die heurige Ausgabe von Jazz & The City wird zum Vermächtnis von Gerhard Eder.

Das reichhaltige und musikalisch höchst anspruchsvolle Salzburger Festival Jazz & The City trägt heuer Trauerflor. Am 4. September, wenige Wochen vor Beginn, starb Kurator Gerhard Eder. Er, der das renommierte Jazzfestival Saalfelden mitbegründet und 25 Jahre lang sensibel programmiert hat, kannte jeden Winkel von Salzburg-Stadt und wusste, welche Klangfarben, welche Akkordprogressionen, welche Vokalornamente sich an der jeweiligen Location optimal entfalten konnten. Eders Gabe, Bezüge herzustellen, seine luzide Vision von Vielfalt, seine Finesse und Sensibilität sind ein letztes Mal zu erleben. Bei Jazz & The City finden sich Musiker aus allen Teilen der Welt ein. Musik wird heute oft brutal zum Gratisfile herabgewürdigt. Eder hatte lichtere Vorstellungen. Er wollte nicht glauben, dass die Hörer mit dem Einbruch des Digitalen in die Welt der Klänge oberflächlicher geworden sind. „Wir haben es heute mit einem viel offeneren Hörer zu tun als noch vor einigen Jahren. Die Akzeptanz, Unbekanntem zu lauschen, ist höher geworden. Die jetzige Epoche fördert das Fehlen von Bewertung. Man traut sich nicht so schnell zu sagen, dass einem etwas nicht gefällt, dass man etwas nicht versteht“, lautete im Sommer 2013 Eders Befund im Gespräch mit der „Presse“. Legendär ist seine intensive Zusammenarbeit mit Hoteliers und Gastronomen: „Mit Sepp Schellhorn [Anm. M32] und Andreas Gfrerer [Blaue Gans, Anm.] kann ich spezielle Abende entwerfen, die sonst nicht möglich wären. Das sind kulturbeflissene und kongeniale Partner. Sie beteiligen sich nicht nur deshalb, weil das Geschäft dadurch besser wird. Sie haben das gewisse Maß an Verrücktheit, das ehrgeizige Projekte benötigen.“ Das Totschlagargument, dass Jazz & The City eine Gratisveranstaltung ist und sich deshalb nicht mit anderen Festivals vergleichen darf, ließ Eder nicht gelten: „Mit dem Gratisfestival erreicht man viel mehr Menschen als nur die Fans. Als Inga Horny das Jazz & The City erfand, war es als Ergänzung zum [mittlerweile pleite gegangenen, Anm.] Salzburger Jazzherbst gedacht. Nach meinem Einstieg habe ich es in diesem Sinne weiterentwickelt. Es ging darum, einem Festival, das in Räumen wie dem Großen Festspielhaus stattfindet, eine Erdung in der Stadt zu geben. Ich war anfangs skeptisch. Ich habe befürchtet, dass die Leute viel unruhiger zwischen den Konzerten herumwandern, als sie es tatsächlich tun. Die Einführung von Zählkarten, die sich die Leute vorher holen müssen, hat viel Gutes gebracht.“

Exploration. Um Tickets wird heuer wohl noch mehr Griss sein als sonst. Schon das Eröffnungskonzert von Dhafer Youssef verspricht Aktualität. Der Tunesier, der lang in Wien und Paris gelebt hat und seit einigen Jahren im malerischen Sidi Bou Said residiert, pendelt in seinem aktuellen Programm zwischen Selbsterforschung und Exploration im Spannungsfeld der Kulturen. Ein künstlerischer Vagabund, der spät entdeckte, dass der Mensch ein konservatives Wesen ist. Tony Allen, der Schlagzeuger, der in den späten Sechzigerjahren mit Fela Anikulapo Kuti den rasanten Mischstil „Afrobeat“ begründet hat, wird mit seiner französischen Band die Geister beschwören. Abseits dieses spektakulären Starts locken stillere Musiker. Das Spektrum reicht vom tunesischen Oud-Spieler Anouar Brahem über den amerikanischen Gitarrengrübler Bill Frisell bis zum norwegischen Elektroniker Bugge Wesseltoft. Spannung versprechen Duos. Etwa wenn der Wiener Christian Fennesz Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit dem Norweger Arve Henriksen ausloten wird. Straighter, rescher Jazz ist mit dem in New York lebenden israelischen Trompeter Avishai Cohen, mit dem Chris Potter Trio und dem John Scofield & Joe Lovano Quartet garantiert. An die Avantgarde anstreifen werden Jacques Schwarz-Bart und das David Helbock Trio. Das dominante Thema von Eders letztem Festival ist allerdings die Auseinandersetzung mit Folklore. Dem syrisch-griechischen Ziad Rajab Trio wird angesichts aktueller Ereignisse besondere Aufmerksamkeit zuteil werden. Der seit 1988 in Griechenland lebende Exil-Syrer zelebriert mit seiner Oud traditionelle arabische Melodien in „westlichen“ Arrangements. Klarinettist David Krakauer wird mit seinem Acoustic Klezmer Project die versunkene Welt des osteuropäisch-jüdischen Schtetls beschwören. Zudem wird Kubanisches mit dem Omar Sosa Quarteto, Balkanesisches mit Branko Galoic und seinem Skakavac Orkestar geboten. Ein ganz besonders Highlight ist das Österreich-Debüt von Sängerin Lisa Simone, der Tochter der ebenso legendären wie politisch streitbaren Jazzdiva Nina Simone. Mit ihrem aktuellen Album „All Is Well“ ruft die 52-Jährige der Mutter folgend zur Revolution auf. Das Kämpferische ihrer Mutter ist bei ihr zwar nur mehr in Spuren vernehmbar, dafür hat sie sich einen ganz eigenen Stimmduktus erarbeitet. Sie getraute sich sogar „Ain’t Got No, I Got Life“, Nina Simones berühmte Apotheose auf die Kraft der Armut, zu interpretieren. Das Ergebnis ist von erstaunlicher Anmut. Eine bloß regionale Angelegenheit ist dieses Jazz & The City längst nicht mehr. Etwa ein Drittel der Besucher kommt aus Bayern, viele reisen aus Wien an. Eder 2013: „Wir wollen schon hinausstrahlen in die Welt.“

Tipp

Jazz & The City. Jazz, Folk, Elektronik von 22. bis 26. Oktober an mannigfaltigen Orten in der Stadt Salzburg u. a. mit dem tunesischen Musiker Dhafer Youssef, dem Schlagzeuger Tony Allen, dem syrisch-griechischen Ziad Rajab Trio.

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