Pop

Verlöschen im Suff, in der Liebe, im Rock'n'Roll

KONZERT: WANDA
KONZERT: WANDAAPA/HERBERT NEUBAUER
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Das zweite Wanda-Album „Bussi“ geht mit großstädtischer Lässigkeit ins Ohr. Beim Konzert in der Wiener Arena zelebrierte die Band die Selbstvergeudung – und pochte an die Tore von Ekstase und Depression.

In ihren Songs stehen so viele leere Flaschen herum, wie sonst nur im Eckbeisl nach einem Fußballländerspiel. Bloß von einer Temperierung der Gemütlichkeit durch Alkohol wollen Wanda nichts wissen. Getreu dem Motto „Gib mir die Wunde, damit ich den Körper spüren kann“ schütten sie exzessiv gaumenwärts und pochen solcherart an die Tore von Ekstase und Depression. Mit ihren deftigen Akkorden und wüsten Texten sind Wanda ideale Befreier vom Joch eines Zeitgeists, der nichts als Political Correctness und Veganismus verordnet. Und so stellten sich in der Arena beim Fest zur Veröffentlichung des zweiten Wanda-Albums „Bussi“ auch jede Menge Voyeure ein, die Sänger Michael Marco Fitzthum alias Marco Michael Wanda und seinen Burschen bei ihrer atemberaubenden Selbstvergeudung zusehen wollten. Der Abend startete rasant mit „Luzia“, „Schick mir die Post“ und der aktuellen Single „Bussi Baby“. Dicht geschlichtet standen die Fans, wippten mit ihren Köpfen im Einklang zu den mannigfaltigen Gebärden des Abschieds, die da zelebriert wurden. Das Verlöschen im Suff, in der Liebe und im Rock'n'Roll, all dies schien plötzlich wahnsinnig erstrebenswert zu sein.

Den Tod verlachen

Klang „Bussi Baby“ zunächst ein bisserl hausbacken mit seiner koketten, in Schönbrunner Deutsch gesungenen Klage, dass man Kokain nur gegen Entgelt bekommen kann, kehrte die Würde in Gestalt eines bekannten Motivs wieder: dem gefürchteten Sterben in Wien. Wandas von jugendlichem Ungestüm genährtes Verlachen des Todes hat viel Zauber. Glaubt man Sänger Marco, dann verhilft dem Protagonisten ein einziges Bussi zum Glück. Auf der anderen Seite des existenziellen Spektrums steht die Liebe, wie man sie etwa mit der „Mona Lisa der Lobau“ praktizieren könnte. Allein, da will es nicht richtig klappen. „Warum kennst du dich nicht besser in mir aus?“, fragt Marco hier und fleht um ein vermeintlich Geringes: „Also gib mir ein brauchbares Wort, eines, das du sagst und auch so meinst, gib mir so ein Wort.“ Dazu zwitschert eine zärtliche E-Gitarre, schlägt der Drummer einen trockenen Beat.

In ihrem ständigen Irrlichtern zwischen Euphorie und Niedergeschlagenheit wecken Wanda die schönsten Erinnerungen an die britische Celtic-Soul-Band Dexys Midnight Runners, die Ende der Siebzigerjahre mit ihrer opulenten, gefühlsbetonten Musik so gar nicht zum damals herrschenden Post-Punk-Zeitgeist passte und trotzdem die Charts hinaufschnellte. Dass das, was sich bei Wanda derzeit so wunderlich fügt, in nicht allzu ferner Zukunft dahin sein könnte, verdrängen sie nicht einmal. Es ist in kleinen sprachlichen Wendungen in ihren Songs allgegenwärtig. Trotzdem geht es jetzt mal in erster Linie ums Trinken des Nektars, den der überraschende Erfolg im gesamten deutschen Sprachraum bietet. Das Feuilleton und die Musikgazetten von „Rolling Stone“ bis „Spex“ schmusen Wanda in völlig undeutscher Manier an. Von einer „Wandamania“ wird berichtet und selbst „Spex“, das sonst so gern philosophische Glasperlenspiele betreibt, schwärmt ganz direkt von den weichen Faktoren dieser Band: „Bauchgefühl, Hüftschwung, Koketterie, Scheißmichnix“.

Die Lässigkeit, mit der das zweite Wanda-Opus ins Ohr geht, ist unbedingt mit der Wirkung des so erfolgreichen Debüts „Amore“ zu vergleichen. Im flotten Opener „1,2,3,4“ , der mit einem markanten „Es ist so schön bei dir“-Refrain charmiert, schwadroniert Sänger Marco davon, dass er ein „trauriger europäischer Geist“ sei, der einfach im Nachtgewand der Geliebten aus deren Fenster rauchen will. Dekadent und dandyhaft wandelt er auch durch die Szenerie des Ohrwurms „Zwei Schwestern“. Wie schon in „Bologna“ verwirren inzestuöse Andeutungen. Lapidarer kann Poesie nicht dargebracht werden als in Zeilen wie „Genauso wie die Flaschen von gestern, meine beiden Schwestern, ich schau dich gern von rechts an, hin und wieder stehen wir uns nah.“

Mehr Ödipus als Macho

Der Ton, der in den neuen Liedern von Wanda angeschlagen wird, ist ein durch und durch großstädtischer. Diese Mischung aus Chic und Skepsis, aus Ironie und trauriger Lustigkeit, aus Mondänität und ordinärem Schmiss wird in Berlin, Hamburg und Zürich genauso gut ankommen wie im heimatlichen Wien. Die paar Jungspießer, die jetzt Sexismus in Liedern wie „Nimm sie, wenn du's brauchst“ beklagen, werden beim Erfolgslauf von „Bussi“ nicht ins Gewicht fallen. Schließlich blühen da auch wahnsinnig viele Romantizismen im neuen Opus. Im poppig blubbernden „Das wär schön“ fantasiert der Held vom gemeinsamen Aufwachen. Noch größere Minne bietet der Hero im Lied „Sterne“: „Wo du auch warst, komm wieder heim. Lass uns zu zweit glücklich sein. Öffne den Mund, und ich leg mich hinein, es gibt keinen Grund, sterblich zu sein.“ Und selbst das in manchen Medien gescholtene Video zu „Bussi Baby“, in dem ein winziger Marco zwischen die Schenkel der in dunklen Wassern liegenden Anti-Feministin Ronja von Rönne abtaucht, dürfte mehr Ödipus als Macho sein. Insel oder Pilgerpfad sind derzeit für Wanda keine Orte der Selbstergründung. Sie fahren lieber forschend mit dem Hintern übers Leintuch und schlagen notfalls mit dem Schädel auf dem Wirtshaustisch auf. Alle Enttäuschung schlägt verlässlich in Euphorie über. Ihr Sehnen kennt keine Ordnung. Das bewundern ältere, gesättigte, aber doch auch bedürftige Hörer. Diese Flamme unzerstörbarer Jugend, möge sie noch lang aus Wanda herauszüngeln!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2015)

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