Pop

Die Popwelt geht in den Prater

„Du gehst jeden Tag in den Prater“: Der Nino aus Wien (rechts) mit Ernst Molden, dem Verbindungsmann zwischen Pop und Wienerlied.
„Du gehst jeden Tag in den Prater“: Der Nino aus Wien (rechts) mit Ernst Molden, dem Verbindungsmann zwischen Pop und Wienerlied.Die Presse
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Erben des lieben Augustin: Der neue Austropop versteht sich meisterlich auf die Pflege schöner Klischees. Und lockt damit auch deutsche Musikjournalisten ins Kaffeehaus.

Ein „charmant heruntergekommenes, von Zigarettenrauch geschwängertes Caféhaus“, das fanden zwei Hamburger Musikjournalisten am Wiener Gürtel. Erraten: Sie fanden das Café Weidinger. Und, abermals erraten: Sie spielten dort nicht Billard oder lasen Zeitung, sondern trafen die längst auch in Deutschland weltberühmte Band Wanda.

Dieser wunderbaren Combo ist es zu verdanken, dass die beiden Hamburger nicht nur Wiener Musikern im Café Weidinger beim Rauchen zusehen, sondern darüber auch in Buchform berichten: in „Sound of the Cities“, in dem sie die Popszene in 24 Städten weltweit erkunden.

Wien ist darunter, selbstverständlich, möchte man heute sagen. 2005 wäre es nicht selbstverständlich gewesen. 1995 schon: Kruder-Dorfmeister, Downbeat, Elektro. 1985 vielleicht. 1975 eher nicht. Noch nicht: Vier Jahre später sollte Wolfgang Ambros mit seinen kongenialen Bob-Dylan-Übersetzungen durch Deutschland touren, „Auf ana langen finstern Strossn“, auch das war Austropop.

Lassen wir das Wort. Nein, schmutzig ist es nicht mehr, aber es fehlt ihm die Klarheit des deutschen Pendants „Krautrock“: Da weiß jeder, wie es klingt, nach Autobahn, Nachtzug und närrischen Pilzen. Beim Austropop weiß man das nicht so genau. Nach Gigritzpatschen? Nach Blutgasse oder Himmelwiese? Oder nach dem Wiener Fleischmarkt? Dort ist das Griechenbeisl, in dem es nie Souvlaki gab, dafür hängt der liebe Augustin über der Tür.

Verdammt, wir sind mitten im Klischee. „Ach, verdammt“, sang Andreas Spechtl von der burgenländischen, heute in Berlin wohnhaften Band Ja, Panik 2009, „alles hin, alles Geld, alles Angst, alles hin, hin, hin.“ Das war natürlich eine Variation über das Thema des Bänkelsängers Marx Augustin, doch Spechtl tat den Mundartpflegeverbänden nicht den Gefallen, sie im Dialekt oder auch nur mit Wiener Akzent zu bringen: „It's all about the angst and the money“, sang er mit spitzer Stimme und sprach „angst“ englisch aus.

Nein, Denglisch-Bekämpfer, die auch nicht verstehen wollen, dass ein Kid etwas anderes ist als ein Kind, haben keine Freude mit Ja, Panik. So wie sie keine Freude mit Bilderbuch haben (die in aller Nonchalance „Stress“ auf „less“ reimen) und keine mit Falco hatten, dem Mann, der das Wort „keusch“ (im Song „America“) so aussprechen konnte, dass es wie „cash“ klang: Zweisprachigkeit in einer einzigen Silbe.

Zwielaute? Monophthongierung sagen die Linguisten dazu – und werden heute bei Wanda fündig: Ihr Sänger, Marco Michael Wanda, verschleift die Zwielaute mit Vehemenz, besonders schön im neuen Song „Meine beiden Schwestern“. In diesem ist auch die Zeile: „Es ist wahrscheinlich etwas Wahres dran, wenn du sagst, dass man dabei sterben kann.“ Wobei? Man darf rätseln. Jedenfalls in Wien. Das stellen Wanda in „Bleib wo du warst“ klar: „Einmal willst du leben in Rom, einmal willst du nach Berlin, einmal willst du leben auf Hawaii, sterben wirst du leider in Wien, da g'hörst du hin.“ Und auch in „Bussi Baby“: „Mama wollte leben in Rom, Mama träumt sich nach Berlin, aber Mama, Mama stirbt in Wien.“

Genau. Der Tod, das muss ein Wiener sein, wie Georg Kreisler schon 1969 wusste. Klischees sind zum Spielen da. Und wir spielen, wie die gute Neue-Welle-Band Blümchen Blau 1982 sang: „Mensch, o Mensch, ärgere dich nicht.“ Sie sang auch: „Das Schönste jetzt in Wien ist der Schnellzug nach Berlin.“

Das gilt derzeit – zumindest in Sachen Popmusik – wieder einmal definitiv nicht. Und zwar nicht erst seit Wanda und Bilderbuch. Schon 2008 nannte das deutsche Diskurspop-Zentralorgan „Spex“ das zweite Album von Ja, Panik die „wichtigste deutschsprachige Platte seit Blumfelds ,L'Etat Et Moi‘“. Damals gab es auch schon Kreisky, die Grantscherben-Rockband um den aus Steyr zugereisten Franz Adrian Wenzl, der nebenbei als Austrofred amtiert, als wahrhaftigster Popstar Österreichs, als schnauzbärtiger Retter des Austropop, der zu Musik von Queen Texte von Ambros, Fendrich, STS & Co. singt und Bücher schreibt: „Alpenkönig und Menschenfreund“, „Pferdeleberkäse“ oder „Du kannst dir deine Zauberflöte in den Arsch schieben. Mein Briefwechsel mit Wolfgang Amadeus Mozart“.

Apropos Mozart: In „Sound of the Cities“ bekennt sich Marco Michael Wanda zu den ganz frühen Altvorderen so treuherzig, dass es schon fast nach Persiflage klingt: „Wir müssen erwähnen, dass wir auf einem geilen Erbe sitzen. Vor allem mit Figuren aus der Wiener Klassik, diesen unglaublich exzentrischen, rebellischen Typen wie Schubert und Mozart.“ Ihnen, Wanda, werde es wohl so gehen wie diesen, sinniert er: „Wir werden sterben, wenn es beginnt mit dem Geldverdienen.“ Dafür ist es zum Glück bald zu spät. Der Erfolg ist schon da. Und die Hipster, die befinden, dass Wanda nicht (mehr) cool sind, weil zu viele ordinäre Leute sie kennen. Das ist einst schon Falco so gegangen, den Wanda genauso zitieren wie ihre Kollegen von Bilderbuch.


Hochdeutsch? Der geradezu trotzige Verzicht auf Traditionsbrüche – hierzulande distanzierte sich nicht einmal der Punk ordentlich von den „Boring Old Farts“ – betrifft in Wien vor allem das Wienerlied. „Wieso kommt keiner morgens früh nach Wien und sieht die Huren vor den Straßenkehrern flieh'n und hört die Engel durch die Praterbäume zieh'n?“, fragte Ernst Molden, als er noch ein junger Stutzer war und Hochdeutsch sang. Später kam er drauf, dass er nicht der Erste war, dem so etwas auffiel, wechselte zum Dialekt und wurde zum Verbindungsmann zwischen der neuen Wienerlied-Szene – mit fixem Standort beim Heurigen Hengl-Haselbrunner – und dem Pop; den von seiner Ostbahn-Kurti-Professur emeritierten Willi Resetarits erkor er sich zum Kompagnon. Wie Rainer Krispel, einen höchst aktiven Linzer Ex-Punk. Und den verträumten Nino Mandl vulgo Der Nino aus Wien (der wiederum Wanda gut kennt), der wohl auch Moldens Herz rührte mit Zeilen wie: „Du gehst jeden Tag in den Prater, ich geh jeden Tag zum Psychiater.“ Gemeinsam nahmen die zwei programmatisch „Unser Österreich“ auf, mit instrumental radikal abgemagerten Austropop-Songs wie „Espresso“ von Wolfgang Ambros. „Heit sitz i wieder im Espresso, wie jed'n Tag so um halb vier und wart', dass sich vielleicht was tuat“, heißt es darin.

Es tut sich was.

Pop- Österreich

Döbling. Wiener Bezirk, gewürdigt von der Punkband Chuzpe („Blue Döbling“). Auch die Hammerschmidtgasse, die Ernst Molden in „Hammerschmid-
gossn“ (sic!) besingt, liegt dort.

Gnas. Dort – genauer: in Poppendorf – wuchs Anja Plaschg als Tochter von Schweinebauern auf: Sie macht als Soap & Skin große Musik.

Korneuburg. Dorthin verlegte Georg Danzer den „Waterloo Sunset“ der Kinks.

Linz. „What is a Linz?“ fragte die Band Monochrome Bleu. Willi Warma feierten die „Stahlstadtkinder“, Gustav (eigentlich aus Graz) sang eine „Linzserenade“.

Neulengbach. Habe er schon erobert, sang Wolfgang Ambros in „No. 1 vom Wienerwald“.

Neusiedlersee. In „Rusta Rasta“, einem weniger bekannten Song von Ostbahn-Kurti, heißt es: „Da Neusiedler See is fia di de Karibik.“

Scheibbs. Dort und anderswo (z. B. in Stinkenbrunn) suchte Helmut Qualtinger im „Bundesbahnblues“ sein „Baby“.

Vorarlberg. „Oho Vorarlberg“ sangen Michael Köhlmaier und Reinhold Bilgeri 1973.

Wiesen. Im Burgenland. Dort liegt das schönste Festivalgelände (der Welt). Gehört besungen!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2015)

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