Abflug morgen

"Wir haben dem Vater gesagt: ,Wir fliegen morgen. " Die drei persischen Sängerinnen Shirin, Nasrin und Nazanin über ihre abenteuerliche Reise in den Westen und ihre Träume.

Es klingt wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht: Ein Textilproduzent hatte außer seinen sechs Kindern und seiner Arbeit noch eine weitere Leidenschaft: seine Geige. Eines Tages kamen zwei seiner Mädchen zu ihm und sagten: "Vater, wir reisen ins Abendland. Wir wollen berühmte Sängerinnen werden, an der Wiener Staatsoper und der Mailänder Scala auftreten, in Opern von Mozart und Richard Strauss." Der Vater schüttelte den Kopf: "Kommt nicht infrage. Viel zu gefährlich. Zwei 19-Jährige allein im fernen Land. Nein." Doch die beiden Mädchen ließen nicht locker, bald standen sie wieder in seinem Arbeitszimmer und erklärten: "Vater, wir fliegen morgen nach Europa." Der Vater erstarrte. Dann erwiderte er: "Tut, was ihr nicht lassen könnt. Ich bin sicher, in drei Monaten seid ihr wieder da. Europa ist kalt, die Menschen sind hartherzig."


Am nächsten Tag stiegen die zwei wunderschönen, jungen Schwestern Shirin und Nasrin gemeinsam mit ihrer Cousine Nazanin ins Flugzeug und... nun sitzen die drei Perserinnen in einem Wiener Hotel und geben ein Interview. Sie haben eine CD mit "James Bond"-Songs aufgenommen, die anlässlich des neuen "Bond"-Films, "Spectre", vorgestellt wird. Ihren Traum, in großen Opernhäusern aufzutreten, haben sie noch nicht verwirklicht. Aber ihr Karrierestart hat gut geklappt. Ein Auftritt bei der RTL-Show "Supertalent 2012" hat sie breiteren Kreisen bekannt gemacht, als das mit Klassik möglich gewesen wäre. Nun sind sie bei Universal unter Vertrag.


Wie lautet die wahre Geschichte hinter dem Märchen? Shirin und Nasrin haben bereits als Kind Klavier, Geige gespielt und gemalt. Sie hatten auch eine Gesangslehrerin aus Österreich, die ab und zu nach Teheran kam. Sie besorgte den Mädchen eine Einladung und ein Visum: "Wir haben unserem Vater nichts gesagt und alles geheim gemacht. Der Vater ist ein offener Mensch, aber er hat sich Sorgen gemacht. Im Iran lassen manche ihre Töchter nicht einmal weg, wenn sie 30 sind", erzählen Shirin und Nasrin. Cousine Nazanin kommt aus einer Lehrerfamilie, in der ebenfalls viel Musik gemacht wird. Das frühe Notenstudium kam allen drei Frauen zugute. Nazanin ging in das einzige Musikgymnasium in Teheran, das es gab, doch dort konnte man nicht Gesang lernen. Nazanin sang im Chor, aber sie fühlte sich elend: "Ich habe 13 Jahre Instrumente gespielt. Im Chor hatte ich das Gefühl, ich schreie, bis ich Halsweh habe, und niemand hört mich."

Optimistisch. Über Religion ("Wir glauben alle an Gott") und Politik wollen die drei nichts sagen. Wie wird sich das Atomabkommen zwischen dem Iran und den USA und die damit verbundene Belebung des Handels zwischen dem Westen und Persien auf die Menschen auswirken? "Wir sind immer optimistisch. Wenn wir das nicht wären, wären wir nicht hier", betont Nazanin: "Sie können sich nicht vorstellen, was ich mir schon alles anhören musste: So oft bin ich rausgeschmissen worden, man hat mir gesagt: ,Vergiss das Singen. Ich habe es trotzdem geschafft. Die politische Welt kann man nicht ändern. Prognosen abzugeben ist sinnlos. Wir müssen das Gute sehen."


"Bond"-Filme haben die drei mit ihren Familien im Iran des Öfteren angeschaut, allerdings sind Nacktszenen entfernt worden. "The World Is Not Enough" heißt die CD, die Gruppe hat sich den Namen Sedonia gegeben. Wie steht es mit Musik im Iran? Das Opernhaus von Teheran, einst Talar-e Rudaki nach dem Dichter Rudaki genannt, wurde auf Initiative von Farah Pahlevi, Frau des letzten Schahs, Mohammad Reza Pahlevi, errichtet und 1967 eröffnet.

Nach der Islamischen Revolution 1979 wurde das Gebäude, in dem wichtige westliche Künstler (Dirigenten wie Herbert von Karajan, Choreograf Maurice B jart oder der Pantomime Marcel Marceau) aufgetreten waren, in "Einheitshalle" umbenannt, dort finden nun hauptsächlich Events mit iranischer Musik statt. "Es gibt im Iran Instrumental-, aber auch Popmusik. Und Frauen singen traditionelle Musik, aber ich konnte das nie singen, diese Frauen haben einen starken Kehlkopf. Mir liegt das einfach nicht. Ich bin ein Koloratursopran, ich liebe Rollen wie Zerbinetta oder die Königin der Nacht", schwärmt Shirin.

Dass Musik im Islam verpönt sei, sollte man nicht behaupten, fügt Nazanin hinzu: "Richtig ist aber, dass nicht alle Musikarten im Islam gern gesehen sind."


Das Video zur "Bond"-CD mit zigarrenrauchenden Machos wirkt relativ sexistisch. Die drei lachen: "Ich hoffe, Sie haben nicht gedacht, dass wir die nackten Mädchen sind, die da zu sehen sind. Wir singen nur! In ,Bond -Filmen werden doch auch Klischees bedient, da gibt es eben auch Machos mit Zigarren. Wir haben lang überlegt, welche ,Bond -Songs für unsere Stimmen ideal sind, und hoffentlich die besten gefunden." Über ihre weiteren Projekte wollen die drei nicht sprechen, aber ein Traum steht fest: Einmal zusammen auf der Bühne zu stehen, zum Beispiel in Mozarts "Zauberflöte" als Königin der Nacht, Pamina und erste Dame.

Info

Sedonia. "The World Is Not Enough" erscheint am 30.Oktober bei Universal.

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