Pop

Wien Modern: Alufolie statt Discokugeln

Nicht nur Pop bei Pop.Song.Voice: Das RSO Wien spielte konservative Avantgarde von Mark Andre u. a.

Was hätte wohl Theodor Adorno vom Motto „Pop.Song.Voice“ gehalten, das sich Wien Modern 2016 erkoren hat? Er, der Kritik übte an der zur Ware verkommenen Kunst – und sich auch nicht vom subversiven Potenzial der Popkultur überzeugen lassen wollte? Wie Adorno selbst komponiert hat, ist derzeit in Wien bei einem Symposion Thema und lässt sich heute, Samstag, im Schubertsaal an seinen Werken für Streichquartett überprüfen. Wie seine sozusagen geistigen Enkel schreiben, war beim Konzert des großartigen RSO Wien unter Sylvain Cambreling zu hören – denn trotz der Liaison mit dem Populären muss es ja bei Wien Modern auch Konzerte geben, die für den guten Ton und das avantgardistische Image im althergebrachten, also konservativen, Sinn sorgen.

Da drehten sich im Großen Saal des Konzerthaus also keine Discokugeln, sondern bloß solche aus Alufolie – in den Fingern der Musiker. Sie hantieren bei Mark Andre fallweise mit Knäueln aus Silberpapier, lassen Blätter knistern. Sind so abfallintensive Instrumente eigentlich politisch korrekt? Egal, ihr Klang nimmt eine prominente Rolle ein im Geräuscharsenal, das Andre spätestens bei seinem Lehrer Helmut Lachenmann kennengelernt hat, wie auch Wischen des Streicherbogens, Klopfen auf das Blechbläsermundstück und allerlei Fiepen, Knistern, Kratzen.

„Hilf, Jesus“

Andres oft nur aus Präpositionen, wenigen Buchstaben und vielen Auslassungspunkten bestehende Stücktitel verweisen oft auf biblisch-religiöse Inhalte. In „. . . hij . . . 1“ (2010) steckt eine Abkürzung des Stoßgebetes „Hilf, Jesus“ ebenso wie das niederländische Wort für er. Dieses Wissen hilft zwar nicht beim Hören, muss es aber auch nicht: Zusammen mit oft fein ziselierten herkömmlichen Klängen und pittoresken Tonklumpen, die wie kollektive Schritte einer Menge anmuteten, gewann das eigentlich amorphe Stück an Kontur und hielt das Interesse aufrecht. Damit taten sich die anderen beiden Werke des Abends schwerer: Isabel Mundrys „Non-Places, ein Klavierkonzert“, das Klangfetzen zusammenstückelt, und das ruckartige, kontrastreiche Violinkonzert „Still“ von Rebecca Saunders.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2015)

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