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„Walk On The Wild Side“: David Bowies Kollaborationen

David Bowie und Iggy Pop 1977 in Moskau
David Bowie und Iggy Pop 1977 in Moskau(c) imago stock&people (imago stock&people)
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Lou Reed, Bing Crosby, Iggy Pop: David Bowie suchte stets die Nähe zu Exzentrikern, Ikonen und Avantgardisten.

Es ist ein Moment der Ernüchterung. Wenn Popfans in die St. Annes Court in Soho, London, pilgern, um die Trident Studios von außen anzuschmachten, dann stehen sie vor einem nüchternen Bürogebäude. Dem Ziegelbau wurde eine metallisch-kühle Fassade verpasst, der so gar nicht zum Genius loci passen will: Immerhin haben hier die Beatles „Hey Jude“ aufgenommen, die Rolling Stones „„Let It Bleed“, David Bowie sein zweites Studioalbum „David Bowie“. Als ihm in den Trident Studios auch sein „Ziggy Stardust“-Album glückte, war klar, dass er seine erste Produktion mit einem anderen Musiker ebenfalls an diesem Ort realisieren wollte. Fasziniert vom gegenkulturellen Ungestüm des New Yorkers Lou Reed, Sänger der Velvet Underground, bot er sich an, ihn zu produzieren.
Das gemeinsam erarbeitete „Transformer“ wurde zu Reeds erfolgreichstem Album überhaupt. Das darauf enthaltene „Walk On The Wild Side“ wurde ein Welthit, ja ein Evergreen. Das schwülstige Saxofonsolo blies übrigens Ronnie Ross, jener Londoner Jazzer, der einst Bowie auf diesem Instrument unterwies.

Nach diesem Erfolg hat Bowie einmal ein paar Jahre für sich allein getüftelt. Erst 1975 wagte er eine neuerliche Kollaboration. Diesmal war der Ort New York und sein Partner hieß John Lennon. Der riffgetriebene, karg instrumentierte Duett war „Fame“, eine Abrechnung mit den Folgen des Ruhms: „Fame puts you there, where things are hollow.“ Das grelle Lamento eroberte Platz 1 der Billboard Charts.

Der nächste Duettpartner war eine Überraschung. Es handelte sich um keinen Geringeren als Bing Crosby, den Vater des modernen Popgesangs. Das 1977 eingespielte „Peace On Earth/Little Drummer Boy“ wurde ein britischer Weihnachtsstandard. Auch mit dem herrlich hysterischen „Under Pressure“ glückte 1981 ein zeitloses Duett – mit Freddy Mercury. Bowie hatte damals gerade seine drogenverseuchten Berlin-Jahre hinter sich, aber es lag immer noch etwas Ungutes in der Luft: „Insanity laughs under pressure, we're cracking.“

In den düsteren Jahren in der Mauerstadt hat Bowie einen zu sich geholt, der ihm punkto toxischer Selbstdestruktion um nichts nachstand: den Protopunker Iggy Pop. Bowie produzierte 1973 dessen Klassiker „Raw Power“ in London. 1976 engagierte Bowie den Outlaw Pop als Vorprogramm für seine „Station To Station“-Tour, dann lockte er ihn nach Westberlin. Gemeinsam machte man nicht nur die „rote Insel“, ein Proletarierviertel in Schöneberg unsicher. Nein, die beiden nahmen auch wegweisende Musik in den Hansa-Studios nahe der Mauer auf. Neben eigenen Meilensteinen wie „Low“ (1977) und „Heroes“ (1978) blieb noch Energie für Iggy Pops „The Idiot“ und „Lust For Life“. Grandiose gemeinsame Songs wie „China Girl“ und „Nightclubbing“ entstanden.

"but I see you on the other side"

Nicht immer glückten Würfe für die Ewigkeit. Bowies mit Mick Jagger realisierte Coverversion des alten Motown-Soulklassikers „Dancing in the Street“ misslang gründlich. Schon in der Vergangenheit war es manchmal auch bloßer Zufall, dass unbekannte Genies an Bowies Seite tätig waren. Der Soulsänger Luther Vandross etwa, der Backgroundgesang und die Komposition „Fascination“ zu „Young Americans“ beisteuerte, wurde ganz ohne Hilfe Bowies zum Superstar. Eine Begegnung mit Kalkül war hingegen jene mit dem Klaus Nomi, der, schon von AIDS gezeichnet, in einem NBC-TV-Special von 1979 als Tänzer und Backgroundsänger agierte.

Ab Mitte der Achtzigerjahre mied Bowie den Kontakt mit wirklich eigenständigen Kollegen. Hin und wieder ließ er sich zu einem Beitrag überreden, wirkliches Interesse an neuen Künstlern war selten. 1997 spielte er mit den Pet Shop Boys er den Discostomper „Hallo Spaceboy“, mit Nine Inch Nails den paranoiden Kracher „I'm Afraid Of Americans“ ein, aber innovativ war keiner dieser Titel. Die Fühlung mit der Popavantgarde gelang ihm erst wieder 2006 mit einer Zusammenarbeit mit TV On The Radio auf „Return To Cookie Mountain“. Deren Mastermind David Andrew Sitek überredete Bowie auch zu zwei Gesangsbeiträgen für Scarlett Johanssons Tom-Waits-Hommage „Anywhere I Lay My Head“.

Am eindrucksvollsten aber war „Reflector“. Dieses federleichte Discostück von Arcade Fire, von LCD-Soundsystem-Mann James Murphy produziert, schloss 2013 nahtlos an vergangene Bowie-Großtaten im Bereich der Tanzmusik an. Beinah jubilierend präsentierte er kryptische Zeilen, die menschlichen Erkenntnismöglichkeiten betreffend. Sie seien nichts als „Just a reflection of a reflection of a reflection, but I see you on the other side.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2016)

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