Selten wirkten Nachrufe so glaubhaft erschüttert wie die auf David Bowie. Das liegt daran, dass er uns beigebracht hat, wie man das Leben als Rollenspiel lebt. Und daran, dass er am Ende wirklich sich selbst gespielt hat. Was wir aber erst nach seinem Tod verstehen konnten.
Von Betroffenheit und/oder Erschütterung sprechen besonders Kulturpolitiker bzw. ihre Pressesprecher längst routinemäßig, wenn es einen Todesfall zu kommentieren gilt. Nach David Bowies Tod schienen die beiden Wörter kurz ihre volle Bedeutung wiederzugewinnen. Das las man auch aus Nachrufen: Andrian Kreye in der „Süddeutschen Zeitung“ etwa begann seinen „mit dem Nachmittag, als der 14-jährige Autor einen Friseursalon im Münchner Cosimapark betritt und dem Friseur das Cover von ,Station To Station‘ in die Hand drückt. So die Haare, bitte! Hieß: Weg mit den langen Kinderhaaren!“
Oder, darf ein etwa Gleichaltriger mit ähnlichen Friseurerlebnissen hinzufügen: Weg mit den langen Hippiehaaren! Bowie befreite uns von der Illusion, dass man Haltung mit Haarlänge ausdrücken könne oder müsse. „I've changed my hairstyle so many times now, I don't know what I look like“, hieß es drei Jahre später, 1979, bei den Talking Heads: Aus der Pflicht der Authentizität war die Freiheit des Stils geworden, auch das meint man, wenn man sagt, dass David Bowie den Aufrichtigkeitszwang des Rock 'n' Roll verworfen hat, das eindeutige Ich durch die Person im Sinn der Herkunft des Wortes – von Maske, Verkleidung – gesetzt hat.
Es ist kein Zufall, dass die in Bowies Geburtsort, Brixton, London, öffentlich trauernden Fans sich um ein Bild sammelten, das Bowie als Ziggy Stardust respektive Aladdin Sane zeigt, und nicht etwa ungeschminkt in seiner „,Heroes‘“-Zeit. Dass in etlichen Nachrufen, auch in der Onlineausgabe dieser Zeitung, das Wort Held im Titel stand – ohne die Anführungszeichen, die Bowie für den Song „,Heroes‘“ wollte, wäre eine eigene Grübelei wert: Lässt der Tod auch die Gänsefüßchen verschwinden?
Der Tod selbst trägt eine Maske, seinen Klienten entreißt er sie. Das ist das tief Erschreckende am Video zu „Lazarus“: Wer es, nichts ahnend von der Krebserkrankung Bowies, vor dessen Tod sah, der sah den großen Darsteller in einer grauenhaften Rolle, als Schwerkranken, der sich mühsam aus dem Spitalsbett aufrichtet, mit grauem Haar, mit bandagiertem Gesicht, Schrauben an der Stelle der Augen. Die hat er wohl nicht wirklich getragen, aber sonst kann man das Video als realistisch sehen. Posthum.
Im jähen Gegensatz etwa zu Christoph Schlingensief oder Wolfgang Herrndorf, die ihre Todeskrankheit, vielleicht kann man in einem argen Paradoxon sagen: ihr Sterben öffentlich gelebt haben, hat es Bowie verborgen. War es ihm noch vergönnt, Rezensionen von „Blackstar“ zu lesen, geschrieben von Menschen, die nicht wussten, wie es um ihn stand? Die Mundharmonika spiele ein Lied vom Tod, stand hier, der Sänger wolle die Welt nicht fallen lassen, nicht aus der Welt fallen; anderswo las man, Bowie habe „auf ,Blackstar‘ in seinem 70. Jahr Halt gefunden“.
Wer ahnte was? Kann man dieses Album je wieder hören, ohne an das Sterben seines Sängers zu denken? Wohl nicht. David Bowie hat es perfekt inszeniert: „Sein Tod war nicht anders als sein Leben – ein Kunstwerk“, sagte Produzent Tony Visconti. Er hat ihn kontrolliert, so gut man ihn kontrollieren kann, ist Person geblieben, so gut man Person bleiben kann, wenn das Nichts droht.
Ganz am Ende von „I Can't Give Everything Away“ hört man einen seltsam vertrauten schwebenden Synthesizersound: Es ist der Klang, der in „Quadrophenia“ von The Who – dort zu Meeresrauschen – in „Love Reign o'er Me“ überleitet, in den abschließenden Hymnus, der offen lässt, ob der Mod Jimmy den Tod im Meer findet oder nicht . . . Ob Bowie, der alte Mod, ein bewusstes Zitat als Hoffnungsschimmer gesetzt hat? Wir dürfen darüber spekulieren. Er ist tot, sein Werk gehört endgültig uns. Es betrifft uns.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2016)