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"Es gibt keine Skizzen: Wir machen Action-Painting mit Sounds"

(c) Emile Holba
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John Surman, einer der Architekten des Europäischen Jazz, gastiert bei 3 Tage Jazz, einem neuen Winterfestival in Saalfelden, mit seinem Nordic Duo. Mit der "Presse" sprach er über seine Lehrer, skandinavische Kälte und Glockenläuten an den Küsten Englands.

Dass es in Oslo empfindlich kälter ist als im Südwesten Englands, wo er herkommt, hat John Surman mit den Jahren auch bemerkt. An die lange Zeit der Dunkelheit, die im Jänner und Februar über Skandinavien hereinbricht, hat er sich gewöhnt: „Selbst Norweger flüchten sich da in eine Art Winterschlaf. Ab und zu aber scheint die Sonne, das ist hier ein um so größerer Genuss“, sagt Saxofonist, Klarinettist und Synthesizerspieler John Surman, einer der wesentlichen Architekten des Europäischen Jazz, über seine Wahlheimat. Nein, seelische Düsternis überfalle in dort keine. Und auch an eine besondere Ästhetik des Nordens, wie sie etwa Glenn Gould gesehen hat, glaubt er nicht. Allerdings: „Ich sehe schon, dass meine Musik stark von der Natur beeinflusst ist.“

„Ich brauche die Weite des Landes“

1944 in der englischen Kleinstadt Tavistock geboren, tollte Surman in seiner Kindheit zwischen Moor und Meer herum. Später hat er meist in der Grafschaft Kent gelebt, die man den Garten Englands nennt. „Ich bin definitiv kein Städter. Ich brauche die Weite des Landes.“ Sein Soloalbum „Saltish Bells“ reflektiert die Klänge seiner Kindheit. Das perfekt zwischen elegischen Bläsern und verstörenden Synthiegeräuschen ausbalancierte Werk gehört zum Ergreifendsten, was Surman bislang aufgenommen hat. Die darauf enthaltene Träumerei „Winter Elegy“ erinnert an den norwegischen Saxofonisten Jan Garbarek. Und im Titelstück hallen die Glocken der Saltash Church wider, die Surman von seinen Ausflügen mit dem fischenden Vater im Gedächtnis behalten hat. „Erinnerung spielt eine große Rolle in meinem Verständnis von Musik. Alles, was wir in unseren ersten Jahren hören, bleibt uns für immer im Gedächtnis.“ Bei Surmans war das das „English National Songbook“: „Diese englischen Volksmelodien sind ein Teil von mir geworden.“ Aus ihrem Reservoir schöpft er, wenn er improvisiert. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er seine Laufbahn im urbanen London begonnen hat. „Das war aufregend, ein Übergangsritus, der ins Erwachsenendasein führte. Die Energie der Stadt hat mich damals noch fasziniert. Heute bekomme ich meine Dosis Urbanität während meiner Tourneen. Flugzeuge, Hotels, Konzerthallen – jetzt ist es mir lästig, als junger Mann habe ich es genossen.“

Was hat die formelle Ausbildung am Music College gebracht? Verderben derlei Institutionen nicht eher das Talent? „So zu denken halte ich für überzogen. Natürlich besteht die Gefahr, dass man die Uni mit einer Art Formel verlässt. Aber das könnte man für jede Art von Ausbildung behaupten. Es kommt darauf an, was man individuell daraus macht. Um es in der Musik zu schaffen, braucht man den Drang, sich weiterentwickeln zu wollen.“ Mit liebevollen Worten erinnert er sich an seinen Klarinettenlehrer Wilfred Kealey: „Seine Lektionen hielten mich die letzten 45 Jahre am Leben. Andere Lehrer habe ich ganz vergessen. Ich weiß nur noch: Wenn über die Neuerungen bei Bach referiert wurde, sind meine Gedanken zu John Coltrane und Eric Dolphy geschweift.“

Vom Nordic Quartet zum Nordic Duo

Surmans professionelle Karriere hob in der Band von Ronnie Scott an, später spielte er den Blues mit Alexis Korner. Am wichtigsten war die Begegnung mit Mike Westbrook: „Er hat mich dazu gedrängt, die amerikanischen Vorbilder zu vergessen und nach Surman klingen zu wollen.“ Früh beschäftigte er sich mit Synthesizern, arbeitete mit Loops. Besonders eindrucksvoll auf „Cloud Line Blue“, einem modalen Meisterwerk, das er mit seiner Frau, der norwegischen Jazzsängerin Karin Krog, aufgenommen hat. Mit ihr, dem Gitarristen Terje Rypdal und dem Pianisten Vigleik Storaas hat er Mitte der Neunzigerjahre das kurzlebige, aber interessante Projekt „Nordic Quartet“ betrieben. Nun greift er die Ideen von damals im Duo mit Storaas auf. Was er anstrebt? „Schlicht gute Musik zu machen. Vorhersagbar ist wenig. Es gibt keine Skizzen. Wir machen Action-Painting mit Sounds.“

3 Tage Jazz in Saalfelden: 22. bis 24. Jänner im Kunsthaus Nexus, u. a. mit Chuffdrone, Sclavis/Pifarély/Cortois, Papanosh. Das Nordic Duo spielt am 23. 1. um 20 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2016)

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