Pop

Get Well Soon: Die dunklen Seite der Liebe

Unheimliches Seventies-Design: Konstantin Gropper am Set des Videos für „It's Love“.
Unheimliches Seventies-Design: Konstantin Gropper am Set des Videos für „It's Love“.(c) Caroline
  • Drucken

Verführte Stubenmädchen, Kellerbräute, perverse Professoren: „Love“, das neue Album von Get Well Soon, zeichnet ein Pandämonium der Romantik.

Ein trüber Tag. Weltekel liegt in der Luft. Es läutet an der Tür. Ein Mann öffnet. „Sir, we would like to offer you love“, sagen zwei Zeugen Jehovas. Wortlos nimmt er die angebotene Broschüre und sperrt die Welt wieder aus. Nein, er braucht keine Liebe, er hat alles, was er braucht. Ein kleines Häuschen mit schönstem Siebzigerjahremobiliar, ein frisch zubereitetes Surf & Turf, also jene proteinreiche Spezialität, die die männliche Triebkraft befeuert und – man ahnt es schon – eine geheime Braut im Keller. Der deutsche Schauspieler Udo Kier hat diese gruselige Rolle in „It's Love“, dem neuen Video von Get Well Soon, übernommen. Er brilliert darin mit knappen, aber vieldeutigen Gesten: eine Art musischer Přiklopil, dem ein unheilvoller Chor kündet: „It's love and you won't get rid of it.“

Auf dem sarkastisch „Love“ betitelten vierten Album von Get Well Soon versucht Konstantin Gropper, der Kopf der Band, über die Schattenwelten der Liebe so wertfrei wie möglich zu erzählen. Er flaniert dafür an den Peripherien der romantischen Liebe, dort, wo emotionaler Überschwang ins Pathologische zu kippen droht.

Das Wonnevolle der Liebe haben Schlager und Pop ja längst kartografiert. Wie dem Kanon noch etwas hinzufügen? „Das war genau die sportliche Herausforderung“, sagt Gropper. Er verließ sich darauf, dass ihm seltsame Perspektiven neue Erkenntnisse bringen. Das taten sie. Sein Pandämonium der Liebe stellt einprägsame Charaktere vor. Etwa die desillusionierte Hippiefrau in „33“: In politisch korrektem Ekel verbannt sie ihre in Bangladesch unter ausbeuterischen Bedingungen gefertigten Batikkleider aus der Garderobe. Auch Make-up will sie keines mehr auftragen. Als einzigen Luxus leistet sie sich einen Professor als Geliebten: „On the third date he told you, he liked peeing games“, flötet Gropper aus der Sicht des Erzählers. Die sonst so moralische Protagonistin akzeptiert wider Erwarten die Natursektspiele. Lakonisch resümiert Gropper ihren dem Liebeshunger geschuldeten Pragmatismus: „Petrarca wrote 300 Sonets, all for a woman that didn't exist. On the way home you cried in the taxi: Love is an awful enemy, my dear.“

Montage aus Pilcher-Filmtiteln

Dass in Abgründen der Liebe auch melancholische Schönheit lauert, war schon den Romantikern klar. Gropper treibt deren Ansatz aber auf die Spitze: Ganz bewusst inszeniert er Perversion und Betrug als praktikable Seinsmöglichkeiten. „Das Schöne an der Kunst ist ja, dass man Perspektiven einnehmen kann, die man sich als Privatmensch nie gestatten würde. Das hat etwas Therapeutisches.“ Ein Song sticht aus dem wehmütigen Tableau heraus: „Young Count Falls For Nurse“ hat einen schnalzenden Discobeat. Der Text ist eine Montage aus Titeln von Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen. Die vage Hoffnung, im Trivialen philosophische Geheimbotschaften zu entdecken, gab Gropper rasch auf. Er begnügte sich mit dem Aufzählen der Filmnamen: „It's Decision Hour. You Must Never Kiss A Lawyer. A Call From The Past. A False Nun.“ Das Gehirn baut sich dazu sein ganz eigenes, bizarres Narrativ.

So wühlte Gropper in romantischen Szenarien. „Ein Problem mit Kitsch hatte ich noch nie“, gesteht er: „Es gibt ja auch guten Kitsch. Bei Liebesliedern ist es ganz einfach: Entweder sie berühren einen oder nicht. Aus nostalgischen Gründen mag ich Roxette, was objektiv gesehen furchtbar ist. Peinlich ist mir das deswegen aber nicht.“ Kitschforschung betrieb er schon, als er 2015 die Wham-Schnulze „Careless Whisper“ entschlackt interpretierte: „Ich wollte zeigen, dass der Song andere Qualitäten hat, wenn man die kitschigen Elemente weglässt.“

Das Album „Love“ lebt hingegen von der Spannung zwischen romantischer Melodik und abgründiger Liebeslyrik. „Come on, who wants an easy lover?“, fragt der Protagonist im wacker pulsierenden „It's A Mess“ rhetorisch. Die Antwort gibt er sich ein paar Strophen später selbst: Alles dreht sich, alles bewegt sich, kein Los gewinnt in diesem Geflecht aus Reue und Ballast. „No one sets out to make the Hall of Fame of love.“ Statt der flüchtigen Liebe nachzutrotten, möge man lieber das durch sie angerichtete Chaos genießen. „Lose your mind right here on this ornamental chair“, rät Gropper im leicht schwülstigen „Marienbad“, das von Alain Resnais' gleichnamigem Film inspiriert ist. „Ich liebe das Rätselhafte daran“, sagt er: „Alles sieht toll aus, aber man weiß nie, was gerade los ist. Dieser Film ist eine Psychonummer.“
So wie dieses Album.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.