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Maurice White: Schöne Seele im Funk-Wunderland

Er vereinte Spiritualität und Sinnlichkeit: Maurice White (1941–2016).
Er vereinte Spiritualität und Sinnlichkeit: Maurice White (1941–2016).(c) APA/AFP/STAN HONDA
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Earth, Wind & Fire war die erste afroamerikanische Band, die auch das weiße Poppublikum eroberte. Ihr Sänger und Visionär, Maurice White, ist nun 74-jährig gestorben.

„Ich dachte, er leide an einem Sonnenstich“, erinnerte sich Starpianist Ramsey Lewis an die überraschende Wandlung seines schüchternen Schlagzeugers Maurice White. Zu dessen Spezialitäten zählte das Spiel mit dem afrikanischen Daumenklavier, der Kalimba. Bandleader Lewis wollte diese Kuriosität unbedingt in der Bühnenmitte präsentiert wissen: „Maurice White dazu zu überreden, war wie Zähneziehen. Als er endlich merkte, wie gut das ankam, kroch er langsam aus seinem Panzer.“

Als White bald darauf kündigte, dachte Lewis, er wolle ein eigenes Trio oder Quartett gründen. Dabei hatte White zwar keinen Sonnenstich, aber eine viel größere Vision: neun Bandmitglieder plus ein Bläsersatz. Lewis war fassungslos . . .

Bis zu diesem spektakulären Aufbruch versuchte sich der 1941 in Memphis geborene White an kleineren Projekten. Mit Schulfreund Booker T. Jones spielte er in einem Gospelquartett. Kurz vor seinem 17. Geburtstag zog Whites Familie nach Chicago, wo er entscheidende Prägungen erfuhr: Er kam in Berührung mit dem Trompeter Phil Cohran und dessen Artistic Heritage Ensemble. White war fasziniert vom lockeren Blend klassischer, jazziger und afrikanischer Musik. Auch Cohrans asketischen, spirituellen Lebensstil übernahm White später: Drogen waren tabu, Vegetarismus hip.

In die großen Arenen!

Daneben arbeitete White als Studiomusiker beim berühmten Label Chess: So spielte er Schlagzeug in Hits wie „Rescue Me“. 1966 wurde er von Ramsey Lewis angeheuert.

1969 endlich fuhr er mit von ihm erwählten Musikern nach L. A., um seine hochfliegenden Ideen umzusetzen. Ein Astrologe verhalf ihm zum Bandnamen Earth, Wind & Fire. Jetzt konnte es losgehen. Mit Akkuratesse entwickelte das Kollektiv einen Sound, der Funk, Latin, Jazz und afrikanische Elemente locker fusionierte. Statt sich mit Auftritten in den kleinen afroamerikanischen Theatern wie dem Apollo zufriedenzugeben, strebte er in die großen Arenen, in denen die weißen Popbands auftraten. Zum Entsetzen seiner darbenden Bandmitglieder schlug er alle Angebote kleinerer Hallen aus.

1972 glückte mit „I Think About Lovin' You“ der erste Top-40-Hit, mit „Sweet Sweetback's Baadassss Song“ ein weiterer Achtungserfolg, ehe White die Band überraschend auflöste. 1972 nahm er mit neuen Musikern einen neuen Anlauf. „Open Your Eyes“ (1974) wurde zum ersten Platinalbum.

Neben Stevie Wonder waren Earth, Wind & Fire die ersten afroamerikanischen Musiker, die den Popmarkt breitflächig eroberten. Über alle Rassen- und Klassenschranken hinweg erreichten sie globalen Superstarstatus. Die Opulenz ihrer Konzerte ist legendär. Neben der großzügig arrangierten Musik reizten afrikanische Kostüme, vertrackte Broadway-Choreografien und Magier wie Doug Henning samt seinem damaligen Assistenten David Copperfield.

Zwischen Mitte und Ende der Siebzigerjahre kreierten Earth, Wind & Fire Welthits von „Serpetine Fire“ bis „Let's Groove“. Sie dominierten auch die Wiener Tanzflächen: In der Undergrounddisco Voom Voom spielte DJ Lippy sublime Groover wie „Fantasy“ und „Sun Goddess“, indessen ließen die Hietzinger Hautevolée-Mädels ihre Faltenröcke zu „Boogie Wonderland“ im noblen Montevideo in der Innenstadt rotieren. Sogar Ö3 lockte mit Earth, Wind & Fire: „In the Stone“ war Signation des Hitpanorama.

Die Mischung aus spirituellen Sermonen und romantischen Epiphanien war so lang unschlagbar, bis neue Aufnahmetechnologien aufkamen und Earth, Wind & Fire alt aussehen ließen. Sie verkauften dennoch über 90 Millionen Alben. Im Jahr 2000 zog sich White wegen Parkinson von der Bühne zurück, verwaltete sein Werk vom Krankenbett aus. Die Band existierte weiter, kam 2013 mit dem Album „Now, Then & Forever“ sogar noch einmal auf Platz sechs der US-Charts. Immer noch beginnen die Shows mit der sonoren Ansage: „Presenting! The Elements of the Universe! Earth! Wind! And Fire!“

Mit den Elementen wollte Maurice White das Göttliche berühren. Ob man an Transzendenz glaubt oder nicht, die schöne Seele des nun sanft im Schlaf verstorbenen Musikers wird in seiner Kunst weiterleben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2016)

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