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Jack Garratt: "Bunt wie bei den Teletubbies"

„Im Zustand der Absichtslosigkeit fließt Musik halt am besten“, meint Jack Garratt. Darum habe er verdrängt, dass er an einem Album arbeite.
„Im Zustand der Absichtslosigkeit fließt Musik halt am besten“, meint Jack Garratt. Darum habe er verdrängt, dass er an einem Album arbeite.(c) DANIEL HARRIS/Universal
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Der 24-jährige Electro-Popper Jack Garratt hat die BBC-Talentewahl gewonnen und ist schon vor Erscheinen seines ersten Albums, "Phases", der neue Star der britischen Popmusik.

Sänger Jamie Woon, dessen Karriere auch mit einer guten BBC-List-Platzierung begonnen hat, beklagte den großen Stress, den sie auslöst. Wie geht es Ihnen damit?

Jack Garratt: Eh ganz gut. Aber es ist schon so, dass man plötzlich Erwartungen entsprechen muss, die nicht die eigenen sind. Der Druck baut sich aber nicht vom Management oder von der Plattenfirma her auf, sondern von den Journalisten. Ich bin ziemlich froh, dass mein erstes Album, „Phase“, das nun am 19. Februar erscheinen wird, schon aufgenommen war, bevor ich auf diese renommierte Liste genommen wurde.

Ungewöhnlich für einen jungen Künstler ist, dass Sie in Zeiten wie diesen einem Major-Label vertrauen. Warum?

Ich sehe es umgekehrt. Universal hat mir vertraut, hat mich machen lassen, was mir vorschwebte. Niemand hat mir Direktiven erteilt. Natürlich kenne ich ein paar Horrorgeschichten von Leuten, die früh bei Major-Labels unterschrieben haben, aber ich muss schon meine eigenen Erfahrungen machen. Und die sind bislang sehr gut.

„Eh-Oh!“ von den Teletubbies war ein frühes Lieblingslied von Ihnen. Was beeindruckte Sie daran?

Die Farbigkeit des Songs. Und die wirkt nach. Auch meine Lieder sollen diese Buntheit abstrahlen wie damals „Eh-Oh!“. Das Kuriose ist, dass ich später mit seinem Komponisten, Andrew McCrorie-Shand, gearbeitet habe. Das war vielleicht ein Spaß.

Haben Sie dabei auch etwas gelernt?

Der Mann ist ein Vollprofi, was Fernsehmusik anlangt. Ich habe mir einiges punkto Arrangements abgeschaut.

Stevie Wonder ist der Musiker, der Sie ganz besonders beeinflusst hat. Was mögen Sie an seiner Kunst?

Ihn verehre ich seit Kindheitstagen. Das Aufregende ist, dass ich ihn heute, wo ich selbst Musik mache, mit ganz neuen Ohren höre, ohne dass sein Werk an Faszination einbüßt. Und das hat nichts mit der analogen Technologie zu tun, derer er sich damals bediente. Meine Theorie ist, dass, wenn er schon mit 17 Jahren einen Laptop gehabt hätte, seine Musik ganz dieselbe wäre. Er hatte alles in seinem Kopf. Ja, er schrieb Hits, aber solche, die Jahrzehnte später immer noch interessant sind.

Er hatte aber auch eine politische Agenda. Er kämpfte dafür, dass Martin Luther King ein National Holiday in den USA zugedacht wird. Gäbe es für Sie auch etwas Politisches, für das Sie kämpfen würden?

Dafür fühle ich mich zu jung. Ich maße mir nicht an, etwas von Politik zu verstehen.

Haben Sie denn nicht einmal ein Bauchgefühl zu aktuellen Geschehnissen wie der Flüchtlingskrise?

Die ist natürlich beängstigend. Aber das zu kommentieren, finde ich sehr heikel. Viele sprechen über die Flüchtlinge, als wären sie Tiere. Das gab es schon einmal in der europäischen Geschichte, und es führte in den Abgrund.

Setzen Sie mit Ihrem Debütalbum deshalb eher auf Eskapismus?

Soundmäßig auf jeden Fall. Das Schöne an der Musik ist ja auch, dass man sich in Gefühlen verlieren kann, für die einem im wirklichen Leben die Erfahrung fehlt. Bei den Geschichten, die ich erzähle, halte ich mich an etwas, was Tom Waits einmal gesagt hat: „Erzähle die tragischsten Ereignisse ausschließlich mit den schönsten Melodien.“

Sie halten Kontakt mit dem berühmten Produzenten Rick Rubin, jenem Mann, der Giganten von Johnny Cash bis Lady Gaga produziert hat. Worüber unterhalten Sie sich?

Es hat sofort gefunkt, als wir einander trafen. Darüber bin ich sehr froh, denn er ist nicht wahnsinnig kommunikativ. Es ist ein Privileg, dass er mich an seinen Gedanken teilhaben lässt. Wir tauschen regelmäßig Ideen aus. Per E-Mail.

Gab er Ihnen auch Ezzes bezüglich Ihres Albums?

Nein. Diesbezüglich hätte ich mich nicht getraut, ihn anzusprechen. Bevor ich mit einem Kaliber wie ihm zusammenarbeite, muss ich einmal selbst etwas auf die Reihe bekommen.

Hatten Sie eine Strategie für Ihr Debütalbum?

Meine Strategie war, zu verdrängen, dass ich an einem Album arbeite. Im Zustand der Absichtslosigkeit fließt Musik halt am besten. Pläne im Hinterkopf lassen mich immer verkrampfen.

Wie wichtig war es für Sie, Regeln zu brechen?

Immens wichtig. Das Publikum ist viel klüger als die Musikindustrie. Es braucht Sounds, die eine Herausforderung darstellen.

Ihre Videos sind sehr eindringlich. Haben Sie künstlerischen Einfluss darauf?

Natürlich. Aber ich lasse den Regisseuren genug Spielraum, dass es auch ihnen Spaß macht.

War es Ihre Idee, sich für „Breathe Life“ ins Wasser zu legen?

Leichtsinnigerweise, ja. Es dauerte lange, bis ich wieder freiwillig schwimmen ging. Der Dreh hat zwölf Stunden gedauert. Es war der Horror.

Sie haben einen interessanten Freund im Filmgeschäft. Ist Aaron Paul, der Darsteller des Jesse Pinkman in „Breaking Bad“, ein Fan Ihrer Musik?

Zu meiner Freude, ja. Er tauchte eines Abends bei einer meiner Shows in Los Angeles auf. Er mochte, was er sah, und lud mich ein, auf einer Party bei ihm zu Hause zu singen. Seither sind wir befreundet. Ich habe Aaron als jemanden kennengelernt, der für Musik brennt.

Brennen Sie auch für die Musik anderer?

Wenn ich Musik aufnehme, höre ich nichts anderes. Aus diesem Grund lernte ich Kendrick Lamars wunderbares „To Pimp A Butterfly“ erst acht Monate nach Erscheinen kennen. Heiß liebe ich auch Anderson Paaks „Malibu“ und The Robert Glasper Experiment. Die Welt der futuristischen Jazz Fusion fasziniert mich endlos.

Steckbrief

1991 geboren in High Wycombe, Buckinghamshire. Die Mutter ist Musikschullehrerin, der Vater Polizist.

1997 hört Jack Garratt pausenlos „Eh-Oh!“ von den Teletubbies.

Ab 2003 beschäftigt er sich mit Gitarre, Schlagzeug, Piano, Harmonika, Mandoline und Ukulele.

2010 nimmt er Lieder im Blues-Idiom für ein niemals erschienenes akustisches Album namens „Nickel And Dime“ auf, ein Jahr später beginnt der Multiinstrumentalist, seine Sounds und Lieder auf dem Laptop zu kreieren.

2014 erscheint seine erste EP, „Remnix“.

2015 folgt die zweite EP, „Synesthesiac“. Er gewinnt den Kritikerpreis bei den Brit Awards.

2016 gewinnt er die einflussreiche BBC-Talentewahl. Das erste Album, „Phases“, erscheint am 19. Februar auf Island Records (Universal).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2016)

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