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Tindersticks: Schwere Lieder über die Macht der Nacht

Cover des Albums
Cover des Albums "The Waiting Room".(c) Tindersticks
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Eine Feierstunde für alle Freunde der Melancholie: Die Tindersticks grübelten im Großen Saal des Wiener Konzerthauses darüber, was sie so traurig macht. Da passte auch Peggy Lees Klassiker „Johnny Guitar“ gut.

Sind es die Mädchen auf den Straßen? Oder ist es die große Liebe, die er nie kennenlernen durfte? „No, it's the wine that makes me sad“, erläuterte Sänger Stuart Staples die grundsätzliche Bedingung seiner Melancholie im Schlusslied „Factory Girls“. Ja, am Happy-Heart-Syndrom, dem Zusammenbruch des Herzens aus Gründen allzu großer Freude, wird er wohl niemals laborieren, dieser tapfere Wanderer durch die Trümmerlandschaften mannigfaltiger Sehnsüchte.

Seine treuen Fans auch nicht. Wohlgemut folgten sie ihm durchs karstige Moll von 17 Liedern und einem Instrumentalstück. Zum Einzug der Musiker waberte „Follow Me“ aus den Lautsprechern, eine gespenstische Melodica-Variation von Bronisław Kapers Titelmelodie des Films „Meuterei auf der Bounty“ (1962). Anders als auf dem berühmten Filmschiff sind die Grausamkeiten, die sich in der Kunst der Tindersticks zeigen, seelischer Natur. Da gibt es weder saftige Kinnhaken noch spektakuläres Kielholen. Das Ungemach schleicht sich ganz leise an.

Schon im ersten Stück des Abends, „Second Chance Man“. Der erst im zweiten Anlauf akzeptierte Lover rätselt hier darüber, was mehr Schmerzen verursacht: das Leben als Kompromisskandidat oder die jähe Abschmetterung des Werbens? Die Antwort ist zwischen den vagen Worten zu finden, die Staples, den Kopf tief im Nacken, ins Mikro haucht. Sie ist allein im sanften Vibrato dieser Stimme zu erahnen. Der Kopf mag im Zustand permanenter Verwirrung sein, dieses Organ aber führt durch alle Nebel. „No cheating hearts and no one did wrong. So why did we break?“, fragt Staples im dramatischen „Were We Once Lovers?“: All die schönen Motive der emotionalen Indifferenz, die Tastenmann und Gitarrist hier entwickeln, versanden im Ausbruch seiner charismatischen Stimme. Alle emotionalen Schwebezustände finden darin ihr Ende. Nur selten ist es ein versöhnliches. Deshalb hat er auch die Autorität, eigentlich Unantastbares wie Peggy Lees Sadomasoklassiker „Johnny Guitar“ zu singen. „What if you go, what if you stay, I love you. But if you're cruel, you can be kind“, seufzte er schicksalsschwer, derweil Gitarrist Neil Fraser sich mit spanischem Fingerpicking plagte.

Das Leben als Warteraum

Erfüllung finden in der Welt der Tindersticks eher jene, die sich auf die Macht der Nacht verlassen. Ihr zu huldigen scheint manchmal die einzig lohnende Perspektive zu sein. Das schlug wenigstens das elegische „A Night So Still“ vor, der einzige Song, bei dem Staples seine Melodica auspackte und behutsam beatmete. Das im Kirchenliedton beginnende „We Are Dreamers!“ blieb das einzige Stück, bei dem die Band sich in ein wüstes Crescendo steigerte. Sonst dominierten Klänge am Rande zur Stille. Das Verstummen war hier beinah so wichtig wie das Intonieren. „How We Entered“ klang vielleicht ein wenig zu sehr nach Donovans „Atlantis“, sonst aber changierte Staples souverän zwischen dem Kratzigen und Nasalen. „Don't let me suffer“ flehte er in „Waiting Room“, dessen Text eine rhetorische Initiation in das Unbekannte ist, das uns alle erwartet. Das Lied zeichnet das Leben als Warteraum, ganz im Beckett'schen Sinn. Es gilt, der Absurdität des Lebens zu trotzen, zu versuchen, die Ewigkeit im Moment zu kosten. „Don't want nothing that don't belong to us“, hieß es im diesmal ganz leise inszenierten „This Fire Of Autumn“. Das klang wie eine Weisheit aus dem „I-Ging“, dem jahrtausendealten chinesischen Buch der Wandlungen.

Nach den Standing Ovations strömte wohl alles ins Weincomptoir des jeweiligen Vertrauens: Ein, zwei Gläser schweren Rotweins mussten nun folgen, um die existenzielle Schwere dieses schönen Abends auskosten zu können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2016)

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