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Jüdisches Museum: Pop an den Flüssen von Babylon

KONZERT BARBRA STREISAND
KONZERT BARBRA STREISAND(c) APA (Barbara Gindl)
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Von Barbra Streisand bis Bob Dylan, von Benny Goodman bis Joey Ramone: Die Musik des 20. Jahrhunderts wurde wesentlich von Juden geprägt. Die Ausstellung „Stars of David“ gibt einen breiten Überblick.

Now I've heard there was a secret chord, that David played, and it pleased the Lord, but you don't really care for music, do you?“ Die zugleich innigen und lapidaren Zeilen aus Leonard Cohens „Hallelujah“ sind das Erste, was man sieht in „Stars of David“, noch auf dem Stiegenaufgang, und es ist wohl das beste Intro für eine Ausstellung über jüdische Popmusik. Schon weil es Worte sind, Worte ohne Bilder, die einen hier hineingeleiten.

Dann, ein paar Stiegen höher, der Text von Irving Berlins „God Bless America“, dann empfängt einen die zum Clown geschminkte Liza Minnelli – „Willkommen, bienvenu, welcome“ –, und dann ist man in einem Meer der Bilder und Klänge. Cabaret, Operette, Musical, Broadway, Hollywood, Jazz, Rock, Punk, Rap, Folk . . . All die Genres, die, unzureichend zusammengefasst unter dem Sammelbegriff Populärmusik, zum Soundtrack des 20. Jahrhunderts wurden. In ihnen allen waren Jüdinnen und Juden prägend, das ist Gott sei Dank zum Gemeinplatz geworden.

Exodus, auch für Reggaemusiker

Aber haben sie auch etwas gemeinsam außer ihrer Abstammung? Über König David als ersten Rockstar schreibt Museumsdirektorin Danielle Spera in der Einleitung zum lesenswerten Katalog, über alte Dankeslieder der Israeliten, über das Hohelied und die Psalmen. Einen zitiert sie: „An den Strömen von Babylon saßen wir und weinten, wenn wir an Zion dachten.“ Daraus machte die Rocksteady-Gruppe Melodians 1970 den Song „Rivers of Babylon“, in der Version der deutschen Disco-Gruppe Boney M. weithin bekannt. Aber auch Bob Marley interpretierte ihn: Für die jamaikanischen Rastafaris, zu denen er sich zählte, eine Sekte mit deutlich jüdischen Einflüssen, stand Babylon für den Imperialismus. Und Marley nannte ein ganzes Album nach dem Exodus, der zentralen Erzählung der Juden. So steht auch der Reggae, selbst wenn unter seinen Proponenten kaum Juden sind, in einer jüdischen Tradition. Vielleicht, weil die Erfahrungen des Auszugs aus Ägypten und der babylonischen Gefangenschaft universelle Bedeutung bekommen haben.

Nein, davon liest und sieht man nichts in der Ausstellung, das wäre auch zu viel. Es ist auch so schon zu viel, man hätte gut drei Ausstellungen daraus machen können und sollen – eine über Operette, Musicals und Filmmusik, eine über Jazz, eine über Pop im engeren Sinn. So ist es zu gedrängt, zu kursorisch, und will man wirklich Wandtexte wie den folgenden lesen? Über Popmusik: „Ihre zentralen Botschaften sind unverändert Liebe, Frieden und damit Menschlichkeit, auch wenn diese Werte in vielen Songtexten einem Abgleiten ins Banale ausgesetzt sind.“Freilich: Solche Rutschfahrten ins Banale werden durch etliche kluge Interviews konterkariert, die die Kuratoren Marcus G. Patka und Alfred Stalzer geführt oder gesammelt haben. So erklärt der Musiker und Journalist Ben Sidran, wie wichtig jüdische Manager und Impresarios für das Durchbrechen der „Rassengrenze“ waren, die so lange in den USA „weiße“ und afroamerikanische Musikformen separiert hatte. „Rock 'n' Roll war komplett jüdisch“, sagt er – und erklärt, was, neben den handelnden Personen, etwa Mike Stoller und Jerry Leiber, die viele große Elvis-Presley-Hits schrieben, das Jüdische daran ausmacht: dass es um Geschichten geht, selbst im simpelsten Boy-meets-girl-Song, der den jüdischen Traum „Liebe deinen Nächsten“ lebe. Geschichten, die sich gleich selbst kommentieren, wie im Talmud. Der sei „Behauptung, Diskussion und Kommentar in einem: Das nenne ich jüdisch.“

„Dress British, think Yiddish!“

Das gilt wohl auch für die Songs von Leonard Cohen – in einem Video läuft seine dramatische „Story of Isaac“, die die biblische Geschichte erzählt und gleich neu interpretiert, als Anklage gegen die Alten, die die Jungen im Krieg opfern; in einem Schaukasten sieht man die Single „Who by Fire“, deren Text sich an ein Gebet des Jom-Kippur-Fests anlehnt – und Bob Dylan. Von ihm ist ein Autograf aus dem Jahr 1958 in der Ausstellung zu sehen: ein Zettel an ein „sweet girl“, unterschrieben noch mit Bob Zimmerman. „Jüdische Namen klingen für den Rest der Welt nicht cool“, sagt ein Zimmer weiter der für seine à la Einstein herausgestreckte Zunge berühmte Kiss-Bassist Gene Simmons, Sohn einer KZ-Überlebenden, geboren 1949 in Haifa als Chaim Witz. Und: „Dress British, think Yiddish!“

Über jüdische Spuren in Kiss-Songs weiß man (noch?) wenig, bei Bob Dylan wird man leichter fündig, in „Highway 61 Revisited“ natürlich, wo Abraham für sein Opfer auf die Autobahn verwiesen wird, oder auf den Alben „John Wesley Harding“ und „Infidels“. In der Ausstellung hängt – wohl wegen des Autogramms darauf – statt dessen das Cover von „Slow Train Coming“, Dylans erstem Album seiner christlich-fundamentalistischen Phase. Auch darüber – und, vor allem, ob und wie Dylan später zum Judentum zurückfand – würde man gern mehr lesen. Aber, wie gesagt, das Thema ist weit gefasst in dieser Ausstellung. Von der dann doch einzelne, quasi aufgeladene Objekte im Kopf bleiben. Wie der Chanukka-Leuchter mit der Inschrift für Sammy Davis Junior, „whose achievements, won by courage and integrity, say to every man: Yes, we can.“ Das ist zwar nicht so alt wie der Talmud, aber immerhin aus dem Jahr 1965, damals war Obama vier.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2016)

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