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Mariah Carey: Pop-Schwindelprinzessin im Kunstwind

„I'm in love, I'm alive, intoxicated, flying high“: Mariah Carey in der Wiener Stadthalle.
„I'm in love, I'm alive, intoxicated, flying high“: Mariah Carey in der Wiener Stadthalle.(c) Samir H. Köck
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Mariah Carey liebkoste ihre dramatisch geschrumpfte Fanbasis in der Wiener Stadthalle mit waffenscheinpflichtiger Fünf-Oktaven-Stimme. Statt fröhlicher Tanzrhythmen dominierten leider verzuckerte Balladen.

Der Beginn war verheißungsvoll. Vier waschbrettbäuchige Sänger trugen die wieder erschlankte Mariah Carey auf einer Chaiselongue auf die Bühne. Mit hauchiger Stimme entbot sie liegend „Fantasy“, ihr gut abgehangenes Duett mit dem 2004 verstorbenen Rapper Ol Dirty Bastard. Die Beats klatschten elegant, die Keyboards fiepsten gut gelaunt, Careys Stimme schraubte sich in schwindelerregende Höhen. Die unmittelbar emotionalisierten Fans, die 13 Jahre auf die Wiederkehr ihres Idols nach Wien gewartet hatten, schossen aus den Sesseln und gaben sich dem Groove hin.

46 Jahre alt ist diese Diva des amerikanischen R&B, die da im glitzernden Badetrikot, in blickdichten Strümpfen, mit im Kunstwind flatternden Haar-Extensions posierte, als wäre ihr Leib dem Vernichtungswerk der Zeit enthoben. Ganz so ist es natürlich nicht. Ihre penibel restaurierte Erscheinung wirkt auf Männer nicht mehr so verstörend, auf Frauen nicht mehr so einschüchternd wie einst. Bei dieser Show verstand man jedenfalls, warum Assistenten, die das Make-up auf Fabelwesen wie Carey auftragen, selbst Artists genannt werden müssen. Immerhin geht es bei der von US-Showstars kommunizierten Schönheit um eine imperiale Macht, die die Formen des Ästhetischen weltweit nivelliert.

Careys 26 Jahre andauernde Karriere, mit der sie angeblich 520 Millionen Dollar verdient hat, hatte ihre Tiefpunkte. Das ist bei Langzeitkarrieren üblich. Aber anders als bei Whitney Houston und Michael Jackson setzten bei ihr nie Selbstzerstörungsprozesse ein. Lief es einmal in der Musik nicht so gut, drehte sie eine Filmklamotte. Fad war ihr nie.

Nur an die 3500 Besucher

So war sie auch an diesem Abend guter Laune, obwohl große Teile der Halle mit dunklem Tuch abgehängt waren, weil nur an die 3500 Besucher gekommen waren. Dabei liegen Careys Bestselleralben „The Emancipation of Mimi“ und „E=MC2“ gar nicht so weit zurück. Sie stammen von 2005 und 2008. Und doch hat sich seither einiges getan. Britische Sängerinnen wie Amy Winehouse und Adele drängten erfolgreich an die amerikanischen Geldtöpfe. Und jüngere Kolleginnen im R&B, etwa Rihanna, Beyoncé und Taylor Swift, locken mit politischen Aussagen, gegen die Careys liebestrunkene Groschenromanliedtexte oft alt wirken.

Nicht so beim kraftvollen „Emotions“. Hier entrollte sich echte Begeisterung über eine fangfrische Liebe: „I'm in love, I'm alive, intoxicated, flying high“. Carey intonierte hier ausgiebig mit den für ihren Gesang so typischen Melismen. Ähnlich dramatisch verzehrte sie sich in „My All“ nach einem im Verschwinden begriffenen Lover. „I'd give my all to have just one more night with you, I'd risk my life to feel your body next to mine.“ Haltlos heulte sie dem Unhold nach. In „We Belong Together“, einer weiteren Ballade, zitierte sie den Soulsänger Bobby Womack, der einst in seinem Song „American Dream“ denselben als unerreichbares Phantasma diskreditiert hat. Für ebendiesen Notfall des Umschlagens des amerikanischen Traums in einen Albtraum hat Ernest Hemingway in seinem Roman „To Have And Have Not“ Feinmechanik der Firmen Colt und Smith & Wesson empfohlen. Selbsttötung durch die Pistole, meinte er, sei das einzig verlässliche Antidot zu Schlaflosigkeit und Reue, Krebserkrankung und finanzieller Pleite. Alles Symptome, die auch im Showbusiness häufig vorkommen. Doch so weit geht Mariah Carey mit ihrer schrillen Stimme zum Glück nicht, obwohl diese von manchen durchaus als waffenscheinpflichtig angesehen wird. Sie will ehrlich trösten. Ihre Fans und wohl auch ein wenig sich selbst.

Duette mit verblichenen Stars

An diesem Abend tat sie das u. a. mit virtuellen Duetten mit verblichenen Stars. Zur alten Jackson-5-Schmonzette „I'll Be There“ flimmerte der kindliche Michael Jackson über die Leinwand, beim epischen Tränendrüsendrücker „When You Believe“ charmierte noch einmal die junge Whitney Houston. So sehr Houston und Jackson zu Lebzeiten glänzten, so ephemer wie wir alle sind sie letztlich. Statt von deren Strahlkraft hypnotisiert zu sein, empfahl Carey in „Hero“ die Innenschau: „There's a hero if you look inside your heart, you don't have to be afraid of what you are.“ Ihr Trost kam an. Dennoch verflachte ihre Wirkkraft gegen Ende. Statt mehr auf lebhafte Beats zu setzen, kochte sie die Fans zu lang mit überzuckerten Balladen weich. Auch dass nicht alles live war, wozu sie ihren Mund bewegte, war enttäuschend. Doch über weite Strecken war die Rückkunft dieser uramerikanischen Schwindelprinzessin recht erfreulich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2016)

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