Pop

Wiener Konzerthaus: Träumen mit Vicky Leandros

(c) APA/HANS KLAUS TECHT
  • Drucken

Die Schlagerikone zelebrierte mit viel Grandezza ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum und verführte ihre Fans geschickt zu Klatschorgien.

Waren das schöne Zeiten, als der deutsche Schlager noch ein vitales Feindbild der Linken war. In seiner Hochblüte, den Sechziger- und Siebzigerjahren, arbeiteten sich Philosophen vom Format eines Theodor Adorno und Jürgen Habermas am simplizistischen Genre ab. Von einer „Kolonisierung der Lebenswelten“ schrieb damals Habermas, die „konsumistische Vernichtung des Subjekts“ befürchtete Adorno gar.

Aus heutiger Sicht nahmen sie das Genre zu wörtlich. Manche Schlager bargen philosophische Einsichten oder boten Subtexte von apokalyptischer Wucht. Und Schlagerstars waren zuweilen geheime Renegaten. Christian Anders etwa. Oder eben Vicky Leandros, die früh der weiblichen Emanzipation ihre Stimme lieh. „Ich bin wie ich bin, hab ein Herz wie die anderen“, versicherte sie im Wiener Konzerthaus zu den erregten Klängen einer Bouzouki. Liebe oder Freiheit? Im Zweifel wählt Vicky Leandros die befreiende Intimität mit sich selbst.

Erstaunlich, wie gut sich ihre glockenhelle Stimme gehalten hat. Jetzt, mit 63 Jahren, strahlt sie beinahe immer noch dieselbe Mädchenhaftigkeit aus wie zu Beginn der Sechzigerjahre. Damals war nicht klar, wohin diese Karriere führen soll. Leandros hatte viele Optionen. Chanson, Folklore, Soul, Schlager – sie sang einfach alles. Und das nicht nur makellos, sondern sehr beseelt.

Huldigung an Jacques Brel

Ein wenig artifiziell wirkten an diesem schönen Abend bloß einige der vielen Pointen, die sie in den erzählenden Passagen setzte. Viel wichtiger war die Musik. Zum Entzücken ihrer Langzeitfans sang sie mit größter Behutsamkeit „N'y Pense Plus . . . Tout Est Bien“, ihre französische Version von Bob Dylans „Don't Think Twice It's Alright“ von ihrem Debütalbum „Songs und Folklore“ von 1966. Und dann noch „L'Amour est bleu“, einen ihrer Megahits von 1968, gar auf Japanisch. Ihren Pariser Jahren huldigte sie mit einer intensiven Version von Jacques Brels „Ne Me Quitte Pas“. „Du bist eine dramatische Sängerin“ sagte er ihr damals. Sie verstand es nicht gleich. Heute ist sie mit Recht stolz auf dieses Zeugnis des genialen belgisch-französischen Chansonniers. Sehr berührend gestaltet sich auch „Le Temps de Fleurs“, ihre innige Adaption des britischen Hits „Those Were The Days“ von Mary Hopkin.

Im pessimistischen Schlager „Verlorenes Paradies“, der schon 1982 eine Welt am Ende beschrieb, forderte sie eine Neukalibrierung unserer Träume. Immer wieder stieg sie zu ihren Fans herab, teilte die Massen in Chöre und verführte geschickt zu Klatschorgien. Das hatte etwas Prinzessinnenhaftes. Die Hits prasselten, dass es eine Freude war. Besonders innig geriet der Mikis-Theodorakis-Klassiker „Ich habe die Liebe gesehen“.

Das war ein goldener Moment: ihren Trademark-Schlafzimmeraugen beim Traurigsein zusehen zu dürfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.