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Radiohead: Die Band, die verschwindet, ist wieder da

Fünf Briten in ihren späten Vierzigern – auf dem einzigen Foto, das zum neuen Radiohead-Album erschienen ist. In der Mitte: Thom Yorke.
Fünf Briten in ihren späten Vierzigern – auf dem einzigen Foto, das zum neuen Radiohead-Album erschienen ist. In der Mitte: Thom Yorke.(c) Radiohead
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Die Rockmusik, ihr Geschäft und ihr Aufbegehren: Radiohead verabschieden sich seit über zwei Jahrzehnten beharrlich davon – und gleich vom Ich überhaupt. Auf ihrem neunten Album tun sie das auf besonders sanfte Weise.

Vor einer Woche war die Band Radiohead plötzlich verschwunden – zumindest aus den sozialen Medien: Alle Einträge waren gelöscht, die Homepage (Dead Air Space) war leer. Freilich nur für kurze Zeit: Seit Sonntagabend ist dort das Album „A Moon Shaped Pool“ in allen handelsüblichen Erscheinungsformen zu erwerben, körperlich und unkörperlich.

Doch das Verschwinden war das Konsequenteste, was diese Band je gemacht hat. „How to Disappear Completely“ hieß 2000 (auf dem Album „Kid A“) ein zentraler Song: „I'm not here, this is not happening“, sang Thom Yorke und sah sich selbst den Fluss Liffey hinunterschwimmen. Den Fluss gibt es wirklich, in Irland, Yorke spielte aber gewiss mit dem ähnlichen Klang der Lethe, des Flusses des Vergessens.

Was vergessen? Woraus verschwinden? Zunächst aus der Maschinerie der Pop- und Rockmusik. Wie Pink Floyd, in deren Nachfolge sie in vielerlei Hinsicht stehen, schnappten Radiohead stets nach der Hand, die sie füttert. Mit Plattenfirmen wollen sie seit Ablaufen ihres Vertrags mit EMI (2003) nichts mehr zu tun haben; das Album „In Rainbows“ (2007) war zunächst nur über die Website der Band erhältlich. Deren Verachtung galt aber nicht nur den Medien, sondern auch der Botschaft – und dem ganzen Genre. „Pop Is Dead“ hieß eine frühe Single, die allerdings längst nicht so erfolgreich war wie ihr erster Streich: „Creep“ (1992) war – noch mehr als das ein Jahr später erschienene „Loser“ von Beck – die programmatische Absage an das traditionelle Subjekt des Rock, an den aufsässigen, revoltierenden, männlichen, meist weißen Jugendlichen, der nach „satisfaction“ ruft oder erklärt, dass er „born to be wild“ sei. Dieses Subjekt hat sich seither nicht erholt, und Radiohead-Sänger Thom Yorke hat sein Verschwinden beharrlich begleitet, mit seiner tonlosen, fast körperlosen Stimme, der nichts ferner ist als Begehren oder gar Aufbegehren.

Die letzte Rockband ist keine Rockband

In diesem Sinn sind Radiohead, die partout keine Rockband sein wollen, die letzte Rockband. Sie sind es vielleicht überhaupt. Welche Band, deren Mitglieder unter 70 sind, kann sonst noch ein wirklich großes Publikum anziehen? U2, okay, aber die sind deutlich älter. „Rock is dead“, der Slogan, mit dem einst schon die Doors und die Who kokettierten, wird von Jahr zu Jahr mehr zur gültigen Zustandsbeschreibung des Genres.

Man kann nicht weitermachen, man muss weitermachen: Das Ich, dem Thom Yorke seine Stimme leiht (und das er wohl zu einem guten Teil auch ist), ist wie das Ich in Samuel Becketts „Unnamable“ im Verschwinden beharrlich. Es ist noch da, es spürt und leidet. Und es wandert. Im Video zu „Daydreamer“, der nach dem erstaunlich lebendigen „Burn the Witch“ zweiten Single aus dem neuen Album, geht Thom Yorke – der so grau und müde aussieht, dass man ihn am liebsten auf ein Energiegetränk einladen würde (wohlwissend, dass er das sicher nicht leiden kann) – düsteren Blicks durch Gänge, Wohnzimmer, Hallen, Landschaften. 42 Türen öffne er dabei, zählten Fans – und lesen daraus eine Anspielung auf den Roman „Hitchhiker's Guide to the Galaxy“, in dem der Computer als Antwort auf die Frage „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ nur „42“ sagt. Emsig gedeutet wird auch das Schnarchen am Ende des Songs: eine rückwärts gespielte Stimme, die manche als „I've found my love“ hören, andere als „Half of my life“. Sein halbes Leben habe Yorke mit der Frau verbracht, von der er jetzt getrennt ist, interpretieren sie.

Für Radiohead-Aficionados (und von denen gibt es viele) spannend ist wohl auch, dass einige der elf Songs (in anderen Versionen) schon länger bekannt sind: „True Love Waits“ spielen sie gar schon seit 1995 live. „Just don't leave“, fleht Yorke darin – und verspricht: „I'll drown my beliefs to have your babies.“ Was für ein neuer Mann! So sanft und demütig, dass es schon unheimlich ist.

Das sanfte Unbehagen: Man spürt es auch, wenn Yorke in „Present Tense“ dezidiert gegen die Gegenwart antanzt, begleitet von Schwaden von Echos, kontrastiert von der klaren, schlichten, ja: braven Gitarre Jonny Greenwoods. Die schroffe Elektronik, die frühere Radiohead-Alben prägte, ist fort, nur selten knistert und knurrt es noch, vor allem klimpert es. Just wenn es am zartesten klimpert, dann bekommt Yorkes Stimme so etwas wie Körper, und dann wirkt er, man sagt es ungern, wie Bono von U2, ohne Testosteron halt. So soll er uns bitte nicht verschwinden!

Zur Band

Radiohead, 1985 in Abingdon bei Oxford gegründet, hatten 1992 mit dem Verliererbekenntnis „Creep“ einen großen Hit. Damals spielten sie noch Indie-Gitarrenrock, von diesem Stil distanzierten sie sich seit ihrem dritten Album, „OK Computer“ (1997), zusehends, vor allem auf „Kid A“ (2000) und „Amnesiac“ (2001) dominierte die Elektronik.

Nun ist ihr neuntes Album, „A Moon Shaped Pool“, erschienen. Am 21. Mai in Amsterdam beginnen sie eine Tournee, die sie etwa am 30. Juni nach St. Gallen und am 10. September nach Berlin führt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2016)

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