Pop

Die Wut des (Post-)Punk bleibt

PIL live in Berlin
PIL live in BerlinRoland Popp / dpa / picturedesk.com
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Nervös gebliebene Poplegenden aus einer Zeit des Aufbruchs: John Lydon (60) trat mit Public Image Ltd. in Bratislava auf, James Chance (63) im Wiener Chelsea.

Keine Helden mehr: Das war ein Slogan der an Slogans reichen Punk-Ära. Die Generation, die diese Ära getragen hat, scheint die Mahnung verinnerlicht zu haben. Während die Pophelden der Sixties laut und unter großer Anteilnahme abtreten, ist von den Protagonisten des Punk kaum einer lebendig, aktiv und erfolgreich geblieben. Auf John Lydon treffen zumindest die ersten beiden Attribute zu, und zwar gesteigert: Bei seiner laufenden Europatournee präsentiert er sich quicklebendig und hyperaktiv, giftig und hoch konzentriert. Kein Elder Statesman of Punk, nein: „I'm not satisfied, not in my head“, gellt er, jede Silbe einzeln zerkauend und ausspuckend, „I'm not compromised.“

Kann es sein, dass er diesen Song – enthalten auf dem fantastischen jüngsten Album „What The World Needs Now“ seiner Band Public Image Ltd. (PIL) – auch geschrieben hat, um Mick Jagger auszurichten, dass er nicht der einzige ist, der nicht aufhören mag, öffentlich nach „Satisfaction“ zu streben? Vor weniger Publikum halt: In Bratislava füllten PIL den Majestic Music Club, etwas kleiner als die Wiener Arena, halbwegs. Dabei war Lydon immerhin (als Johnny Rotten) Sänger der Sex Pistols und gründete danach mit PIL eine wesentliche Band des Post-Punk. Muss er erst 70 werden, bis ein Massenpublikum ihn würdigt? Wird er latent unterschätzt, weil er nicht nur den „Working Class Hero“ spielt, sondern wirklich aus dem tiefen Londoner Proletariat kommt und das ganz und gar nicht zu kaschieren gewillt ist?

Egal. Mit 60 ist er ein Performer im besten Sinn, führt sich auf, als ob es nichts Dringlicheres gäbe als seine Wut, seinen Hohn und, ja, hier passt das Wort, seine Betroffenheit hier und jetzt auszudrücken. Er tut's mit dem ganzen Körper, mit dem Zeigefinger, mit jedem Finger, mit der virtuosen Gestik eines venezianischen Stammtischpredigers. Er schleudert der Welt sein berühmtes „r“ entgegen, schneuzt sich auf die Bretter, die die Welt bedeuten, ruft nach „double trouble“, schilt die USA als „greatest pornographic country in the world“ und Konzerne als Mörder, attackiert Kirche, Staat, Gesellschaft. „Anger is an energy“, heißt es in „Rise“, das beschreibt Lydon perfekt: Er ist mit seinem Jähzorn so vertraut, dass er ihn theatralisch stilisieren kann, ohne an Intensität zu verlieren. Er kann sogar scherzen: Im Rahmen einer himmelstürmerischen Version von „Religion“ stellte er Gitarrist Robert „Lu“ Edwards (ein dürrer Freak mit fiebrigen Augen) als Jesus Christus, Bassist Scott Firth als Teufel und Schlagzeuger Bruce Smith als Erzengel Gabriel vor. Nun, das mag ein wenig übertrieben sein, aber die drei – von denen Edwards und Smith schon seit 1986 im PIL-Dienst stehen – legen ihm einen explosiven Punk-Dub-Untergrund, der heute noch genauso modern klingt wie damals, in der Zeit, als der Punk das erste Mal das Präfix „Post-“ verpasst bekam.

Smoking im New Yorker Underground

Als Punk noch ohne Vorsilbe war und Lydon in London mit den Sex Pistols das Königreich erschütterte, dominierte in New York eigentlich der Disco. Doch in Clubs wie CBGB's und Max's Kansas City brodelte der Punk. Nur ein paar Häuserblocks davon entfernt lag der Tin Palace, damals Hort des Avantgardejazz. Dort suchte James Siegfried aus Milwaukee Anerkennung. Aber als gelernter Pianist, der erst mit 19 Jahren zum Saxofon gegriffen hatte, war er technisch nicht gut genug für diese Szene. Er wurde bestenfalls kühl beäugt. Das schmerzte. Im Punk fühlte er sich auch nicht ganz daheim. Doch dessen rebellischer Gestus behagte ihm, der im Gegensatz zu Lydon aus gutem, streng katholischem Haus kam. So nannte er sich James Chance, erfand ein nervöses Hybrid aus Funk und Punk, trug fortan Smoking und Pompadour und brachte so Stil in die kaputten Kaschemmen New Yorks. „Alle rieten mir, ein Gewehr zu kaufen und nur bewaffnet U-Bahn zu fahren“, erzählte er am Rand seines Wienbesuchs der „Presse“: „In manchen Gegenden sah es richtig zerbombt aus. Aber die Menschen waren nett.“

Ohne Tanzschritte geht es nicht

Überraschend, dass er der Freundlichkeit etwas abgewinnt, ist er doch selbst ein Virtuose des Grants. Auch sein Benehmen rund um sein Konzert im Wiener Chelsea war, höflich ausgedrückt, erratisch. Nicht einmal die mitgebrachten Platten wollte er nach Konzertende verkaufen: „I don't feel like it.“ Zwängen, selbst wenn sie Geld bringen, geht er aus dem Weg. Kein Wunder, dass er nie den großen Durchbruch geschafft hat. Dafür hat sich James Chance – ganz typisch für die Künstler des Punk und Post-Punk – all die Jahrzehnte über tapfer als Undergroundkünstler gehalten. Sein letztes, ausgezeichnetes Album „Incorrigible“ ist vor vier Jahren erschienen. Aus ihm stammt das kühne „The Splurge“ mit der Losung: „Strip down to your deepest urging and just one time you'll feel alive.“

Das tat Chance offenbar im Chelsea. Zwischen Mikrofonständer, einer possierlichen Korg-Orgel und seinem quäkenden Saxofon schien er stets kurz vor der Verausgabung. Wohl auch, weil er als 63-jähriger Ex-Junkie all die von Soulgrößen wie James Brown und Jackie Wilson eingeführten Tanzschritte praktizierte. Der größte Moment des Abends kam, als er „Home Is Where The Hatred Is“, die große Melodie des verstorbenen Funkmeisters Gil Scott-Heron, zelebrierte und zugleich zerstörte. Hier mischten sich Regression und Progression zischend zu wüster Klangkunst.

Im gewittrigen „Irresistible Impulse“ paarten sich Leichtsinn und Schwermut eines eigentlich hoffnungslosen Geistes. „Schon als kleiner Bub tat ich mir schwer, eine emotionale Bindung zu Religion aufzubauen“, sagt er, hier Lydon verwandt, der es eben ein wenig heftiger ausdrückt. Aber auch Chances Kunst konzentriert sich auf die großen Gefühle Angst und Wut. In „Jaded“ feierte er trotzig die emotionale Erschöpfung, in „Melt Yourself Down“ die Wonnen der Selbstzerstörung. Mit den archaisierenden Funkriffs seines Hits „Contort Yourself“ setzte er ekstatische Energien frei. Berührend, dass er dabei immer wieder mit abgespreiztem Finger von seinem Baileys nippte: So wild er auch gegen seine kleinbürgerliche Herkunft rebelliert haben mag, Spuren davon haben überlebt. Auch das ist möglich im immerwährenden Post-Punk.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2016)

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