Pop

"Is it the end, my friend?"

Nicht nur Black Sabbath verabschieden sich: Wir erleben die Ära der wirklich letzten Tourneen. In Texten des Pop hat das Ende freilich schon früh eine Rolle gespielt. Von Jim Morrisons Ritt auf der Schlange bis zum letzten Song der Beatles: eine finale Betrachtung.

„Ende, es ist zu Ende, es geht zu Ende, es geht vielleicht zu Ende.“ Als Samuel Beckett 1956 sein „Endspiel“ mit diesen Zeilen begann, war der Rock 'n' Roll am Anfang. Elvis Presley bezog soeben sein „Heartbreak Hotel“, Little Richards unverschämtes „Tutti Frutti“ erschütterte die freie Welt, Chuck Berry schickte Beethoven aus der Bahn. 60 Jahre später ist von diesem Ausbruch nichts geblieben, die Pop- bzw. Rockmusik, die auf dem Rock 'n' Roll gründet, ist hoffnungslos überaltert, statt in Pension gehen die Senioren auf Tournee, einmal geht's immer noch . . .

Gut, unter diesem Motto lebt die Rockmusik schon lang. Es ist 40 Jahre her, dass Jethro Tull – ja, natürlich, auch sie sind heuer (noch) unterwegs – ein Album mit dem selbstironischen Titel „Too Old to Rock 'n' Roll: Too Young to Die“ veröffentlichten. Im Jahr davor, 1975, hatte Mick Jagger erklärt: „I'd rather be dead than sing ,Satisfaction‘ when I'm 45.“ Heute ist er 72 und lebendig und singt „(I Can't Get No) Satisfaction“, wenn immer seine Rolling Stones auf Tour sind, das waren sie zuletzt im März. Sie verabschiedeten sich – im Gegensatz zu vielen anderen – nie, doch bei den meisten, die sich verabschiedeten, kam bald nach der Farewell-Tour die Comeback-Tour.

Genau das haben Black Sabbath ausgeschlossen. Ihre Abschiedstournee, die sie am Dienstag in die Wiener Stadthalle führt, hat ein klares Motto: „The End“. Sie zieht sich, doch sie wird enden, voraussichtlich am 2. und 4. Februar in Birmingham, der nordenglischen Industriestadt, in der diese große Band einst begonnen hat. „Es begann vor fast fünf Jahrzehnten mit einem Donnerschlag, dem Läuten einer fernen Glocke, und dann jenem monströsen Riff, das die Erde erschütterte“: So steht es geschrieben, auf der Homepage von Black Sabbath, und das beschreibt den Anfang des Titelstücks ihres ersten Albums, „Black Sabbath“ (1970), ganz gut. Die letzte Strophe dieses Stücks – wenn man denn in diesem zähen Mahlstrom von Strophen sprechen kann – beginnt mit der bangen Frage: „Is it the end, my friend?“

Zurück zum Start. Jetzt also lautet die Antwort: ja. Nicht nur vielleicht. „Wenn diese Tour aus ist, wird es wirklich das Ende sein“, steht auf der Homepage. Auf der Setlist der bisherigen Konzerte steht mit einer Ausnahme – einem Stück aus dem Jahr 1976 – nur Material aus den ersten vier Alben der Band, erschienen zwischen 1970 und 1972. So steht am Ende eine Rückkehr zum Anfang. Überhaupt zeigen die späten Konzertprogramme vieler, wenn nicht der meisten Bands, dass sie ihr Frühwerk am meisten schätzen. Das passt, weil's gerade in diesem oft ums Ende geht. Todesträumereien sind ein Metier der empfindsamen Jugend. Wer dem Tod nahe ist, tändelt nicht mit ihm.

Von einer Band, deren Sänger zu früh gestorben ist, um mehr als ein Frühwerk zu hinterlassen, nämlich mit 27 Jahren, ist das wohl bekannteste Stück namens „The End“: Mit ihm endet das erste Album der Doors (1967). Es ist, so paradox das klingen mag, ein architektonisch perfekter Abgrund, eröffnet, wie Jim Morrison selbst sagte, als „simples Abschiedslied, wahrscheinlich an ein Mädchen, aber es könnte auch ein Abschied von einer Art von Kindheit sein“.

Was für eine Kindheit: Von einer „Roman wilderness of pain“, singt Morrison, von „danger on the edge of town“, „weird scenes inside the gold mine“, dann von einem „highway west“, auf dem er eine meilenlange Schlange reite. Wohin die Reise gehe, fragt Morrison flehentlich, als plötzlich eine grimmige Figur auftaucht, ein Mörder. Er schreitet durch eine „ancient gallery“, an den Geschwistern vorbei, bis zu einer Tür, an der er sich als jener Held herausstellt, den Sigmund Freud durch die Seelen aller Männer geistern sah: König Ödipus. „Father, I want to kill you“, sagt er mit zitternder Stimme, „mother, I want to . . .“

Die Szene mündet in einem Schrei, der seinen Schrecken auch nach unzähligen Wohnzimmerpartys, bei denen dieses zwölfminütige Stück zu karger Beleuchtung gelaufen ist, nicht verloren hat. Und auch nicht verliert, als sich Morrison allmählich wieder erfängt, das Abschiedslied wieder anklingt, nunmehr mythisch aufgeladen. Zurück am Ende. Welches Ende? „The end of laughter and soft lies“, und, konsequent widersprüchlich, „the end of nights we tried to die.“

„Zum Zeitpunkt des Todes ist der Schmerz vorbei“, kommentierte Jim Morrison. „Leben schmerzt mehr als der Tod. Ja, ich glaube, dieser ist ein Freund.“ In dieser Radikalität nahm der Doors-Sänger den großen Tragiker des Post-Punk vorweg: den 1980 mit 23 Jahren freiwillig aus dem Leben geschiedenen Ian Curtis, Sänger von Joy Division. Er sang in „A Means to an End“ die Zeile „I put my trust in you“ derart, dass völlig klar war, dass das Verb im Imperfekt war. Und in „Day of the Lords“ ließ er die gellende Frage „Where will it end?“ ohne Antwort stehen.

Zur selben Zeit, 1979, verwendete Francis Ford Coppola das Stück Morrisons für seinen Vietnam-Kriegsfilm „Apocalypse Now“: eine diskutable Aneignung. Indiskutabel ist, wenn auf einer Greatest-Hits-Sammlung der Doors „The End“ in der beschnittenen Version des Film-Soundtracks enthalten ist, mit einem Hubschrauberangriff statt der letzten Strophe.
Auffällig, dass im Pop kaum je Visionen vom persönlichen Ende mit Weltuntergangsszenarien verbunden wurden, auch nicht in den Achtzigerjahren, als die Angst vor dem finalen Atomkrieg grassierte. So ist „The End of the World as We Know It (and I Feel Fine)“ aus dem Jahr 1987 einer der heitersten Songs von R.E.M.

Nicht wirklich heiter ist „The End“ von den Beatles, der letzte Song, den die vier gemeinsam aufnahmen. Dass er das werden sollte, wussten sie damals, im Hochsommer 1969, noch nicht. Dass sie es ahnten, meint man zu hören. Das knappe Stück, das als einzige Beatles-Aufnahme eine Art Schlagzeugsolo enthält, steht am Schluss der Suite, die den größten Teil der zweiten Seite von „Abbey Road“ füllt, diesem tragikomischen Stückwerk aus Liverpooler Schwänken („Polythene Pam“) und gravitätischen Aufrufen („Carry That Weight“). Mit Rufzeichen („Oh yeah, all right!“) beginnt auch „The End“, es mündet in eine stammbuchtaugliche Weisheit, wie sie Paul McCartney so liebt: „And in the end the love you take is equal to the love you give.“

Auch Paul McCartney, 74, ist unablässig auf Tour, zuletzt hat er am 16. Juni in Prag gespielt. Nach vielen Zugaben ist „The End“ stets das allerletzte Stück: hartherzig, wer dabei nicht die Augen feucht werden spürt.

Auf „Abbey Road“ kommt nach „The End“ übrigens noch eine ganz kleine Zugabe: ein kecker Reim namens „Her Majesty“, den man vielleicht auch in Zeiten des Brexit mit Schmunzeln hören kann. Er beginnt so: „Her majesty's a pretty nice girl, but she doesn't have a lot to say.“ Elisabeth II. ist seither um 47 Jahre gealtert . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2016)

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