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Die Heimat ist, wo der Blues ist

Legendary Led Zeppelin former singer Robert Plant centre and his band The Sensational Space Shifte
Legendary Led Zeppelin former singer Robert Plant centre and his band The Sensational Space Shifte(c) imago/CTK Photo (imago stock&people)
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Arena Wien. Großes Drama: Robert Plant, einst Sänger von Led Zeppelin, glänzte mit neuer Band und milderer Stimme. Und bewies abermals: Mit Rock 'n' Roll lässt sich's gut alt werden.

Natürlich, wir als Briten sind glühende Europäer“, erklärte Robert Plant in der Arena nicht ohne Augenzwinkern, „aber wir haben damals doch lieber ins Mississippi-Delta geschaut als nach Brüssel.“ Ja, die Heimat, sie ist, wo das Herz ist. Oder dort, wo man seinen Hut hinhängt. „I used to have a home“, sagte Plant, „now I drift . . .“

Dieses Schwanken zwischen Heim- und Fernweh, verdichtet in der „train whistle“, dem Pfeifen der Eisenbahn, ist ein zentrales Motiv des Blues. War es auch für ein Quartett unverschämt junger Briten, die 1969 aufbrachen, um die (weibliche) Welt zu erobern. Zunächst natürlich die Neue Welt, die Heimat des Blues, das Land des Country, das Reich des Folk. Led Zeppelin rissen diese Stile an sich, in sich. Etwa einen Folksong aus den Fünfzigerjahren, zuerst interpretiert von Joan Baez: „Babe I'm Gonna Leave You“ auf dem ersten Album von Led Zeppelin fasste die Dramatik, zu der diese Band imstande war, in eine Nussschale, hier barsten die Beats, und Plant zerriss es zwischen der vollmundigen Ankündigung an das Babe, er müsse es jetzt verlassen – „I ain't jokin', woman, I got to ramble!“ –, und dem schreienden Eingeständnis der Sehnsucht. Männerschmerzen.

Plants Stimme ist milder, weicher geworden, sie hat mehr Seele, das Kreischen ist aus ihr verschwunden, doch als er diesen Song in der Arena aufführte, schien es wieder da, und mit ihm die wunderbare Hysterie des Aufbruchs – interpretiert von einem Mann, der weiß, dass er bald am Ende seiner Wanderschaft sein wird. Man verzeihe das Pathos, es muss sein: Diese Musik ist hochgradig pathetisch, sie ist hemmungslos in der Darstellung der Sehnsucht. Robert Plants neue Band feiert diese Hemmungslosigkeit, sie ist uncool wie ihr Name – Sensational Space Shifters –, und das ist gut so.

Eine Fiedel aus Westafrika

Vielleicht hat ihr Schlagzeuger nicht ganz so einen heftigen Schlag wie einst John Bonham, aber die beiden Gitarristen – einer sieht aus wie ein indischer Guru, der andere wie ein TU-Dozent – sind insofern gute Schüler des Zeppelin-Gitarristen Jimmy Page, als sie wissen, dass es auf den Sound ankommt und nicht auf die Anzahl von Tönen pro Sekunde. Und da ist dann noch Juldeh Camara aus Gambia: Er spielt unter anderem ein westafrikanisches Streichinstrument, das wie eine Fiedel klingt, nur noch wilder, schriller; wenn er etwa in „Spoonful“ den Blues variiert, ist es, als trüge er ihn in die älteste Heimat . . .

Fernweh? Heimweh? Das verschmolz auch in Plants neueren Songs – im hypnotischen „The Enchanter“ zum Beispiel –, deren Stil man vielleicht etwas hilflos als afroindokeltisch beschreiben könnte, oder als afrogermanisch, schließlich schaut Plant immer mehr aus wie ein weiser Wikinger, der, wie's so schön im früh abgeklärten „Going to California“ hieß, darüber grübelt, wie auf das Heute je ein Morgen folgen kann.

Egal, die Rastlosigkeit bleibt, auch wenn man alt und grau ist: „No Place to Go“, ein kurz angespieltes „Dazed and Confused“ und dann bald schon das triebhafteste Riff aller Zeiten: „Whole Lotta Love“, eindeutig wie einst, mündend in Bo Diddleys „Who Do You Love“, im Blues passt alles zueinander, Heimat und Ferne, Heute und Morgen, Grabsteinhand und Friedhofsgeist. Hat Plant auch die Zeile „Just 22 and I don't mind dying“ gesungen?

Leider, das kann nicht mit Gewissheit berichtet werden. Egal, wo man stand in der dicht gefüllten Arena, überall hatten einander ältere Herren viel zu erzählen – und auch die Stimme, die Musik zu überschreien. Immerhin hörte man so kuriose Sätze wie: „I kenn' sogar an, der was auf Woodstock war, aber dem geht's a nimmer guat . . .“

Robert Plant, auch schon 67, geht es gut, das kann man sagen, und er hat große Freude an gewagten Kombinationen. So begann er die zweite Zugabe mit dem Beach-Boys-Song „Bluebirds over the Mountain“, ließ ihn jäh im so rasenden wie bekenntnishaften „Rock and Roll“ münden. „Let me get it back“, heißt es darin, „where I come from.“ Der Song ist aus dem Jahr 1971. Wie tief doch die Sehnsucht nach dem Aufbruch von gestern in diesem Genre sitzt! In Wahrheit ist er Heimat und Ferne zugleich. Rock and Roll: Damit lässt's sich gut alt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2016)

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