Pop

Ein letztes Ächzen des geliebten Pop-Gauklers

British Pop Star David Bowie
British Pop Star David Bowie(c) REUTERS (LEONHARD FOEGER)
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„Lazarus“, der überraschend gute Soundtrack des David-Bowie-Musicals, das ab Dienstag erstmals in London zu sehen ist, kredenzt auch die drei letzten von Bowie eingespielten Songs „No Plan“, „Killing a Little Time“ und „When I Met You“.

Was für eine prächtige letzte Ballade. Klagendes Saxofon, virtuos stockendes Klavier und diese eindringliche Stimme, in der man Weltmüdigkeit samt Erlösungshoffnung zu vernehmen glaubt. „Here, there's no music, here I'm lost in streams of sound. Here am I. Nowhere now?“ Ein elegisches Meisterstück, das himmlische Gelassenheit antizipiert. „All of the things that are my life, my desires, my beliefs, my moods – this is no place but here I am.“ „No Plan“ heißt die brandneue David-Bowie-Ballade. Fast sehnsuchtsvoll betrachtet er hier das Jenseits als einen (Nicht-)Ort, an dem (endlich!) keine Pläne mehr zu schmieden sind.

Sein gesamtes Leben war Bowie tätig, wechselte ruhelos die künstlerischen Perspektiven wie die Disziplinen. Musik, Film, Malerei – alles hat er durchdekliniert. Kurz vor seinem Tod wechselte er ins risikoreiche Genre Musical. „Lazarus“ nennt sich dieses finale Projekt, an dem er neben den Aufnahmen fürs exzellente Album „Blackstar“ gearbeitet hat. Gemeinsam mit dem irischen Dramatiker Enda Walsh fächerte er die Motive aus Walter Tevis' Roman „The Man Who Fell to Earth“ neu auf. Der Stoff war Bowie vertraut, schließlich spielte er die Hauptrolle im vom Briten Nicholas Roeg 1975/76 gedrehten gleichnamigen Film.

Als Bowie nicht von dieser Welt war

Als Mensch war er damals in einer schwierigen Situation. Der Triumph seines Soulalbums „Young Americans“ katapultierte ihn in den Orbit der Superstars. Die Kehrseite war eine massive Kokainabhängigkeit samt Angstanfällen und Paranoiaschüben. Weil sich Bowie damals fast nur von Milch und Kokain ernährte, magerte er dramatisch ab. „Das Einzige, woran ich mich erinnere, ist, dass ich bei diesem Film nicht schauspielern musste. Für die Rolle reichte es völlig aus, der zu sein, der ich war. Zu dieser Zeit war ich nicht von dieser Welt“, erinnerte er sich 1993 in einem Gespräch mit dem britischen Journalisten Paolo Hewitt.

Mit wundersamer Disziplin meisterte er die anstrengenden Dreharbeiten in der Wüste New Mexicos trotz geschwächter Konstitution. Er spielte Thomas Jerome Newton, einen Außerirdischen, der auf die Erde fiel, um Wasser für seinen Heimatplaneten zu finden. Dank überlegener Intelligenz schien er auf bestem Weg sein Ziel zu erreichen, schlussendlich zerbrach er doch am tückischen Wesen der Menschen. In der Schlusseinstellung sitzt Newton bei Gin und Kuchen vor flackernden Bildschirmen, unfähig, dem Planeten zu entfliehen oder einfach zu sterben. Anders als Newton entkam Bowie der Last des Irdischen. „Look up here, I'm in heaven, I've got scars that can't be seen, everybody knows me now“, sang er – längst schwer krebskrank – in „Lazarus“. Im dazugehörigen, von mittlerweile fast 38 Millionen gesehenen Video empfahl er sich gespenstisch zurückwackelnd in einen Kasten.

Der nun erschienene Soundtrack des Musicals „Lazarus“ beginnt mit diesem Schlüsselsong. Die Musicalinterpretation von Schauspieler Michael C. Hall, jenem Mann, der in der Kult-TV-Serie „Dexter“ den doppelgesichtigen Titelhelden gespielt hat, ist ansprechend, doch ein wenig zahm. Der britische „Guardian“ nannte „Lazarus“ maliziös ein „Jukebox Musical“. Der unmotiviert wirkende Einsatz von Bowie-Klassikern wie „It's No Game“ und „Where Are We Now?“ rief auch bei anderen Blättern harsche Kritik hervor.

Außerhalb der Theater ist der rechtzeitig zur Londoner Premiere am 25. Oktober im King's Cross Theatre veröffentlichte Soundtrack dennoch eine exquisite Angelegenheit. Die vom Pianisten Henry Hey geleitete Band schafft den Balanceakt zwischen genrespezifischer Glätte und zarter Neudeutung. Cristin Milioti und Sophia Ann Caruso schenken Bowie-Klassikern wie „Always Crashing In The Same Car“ und „Absolute Beginners“ weibliche Sensitivität. Zudem experimentierte Bandleader Hey sachte. „The Man Who Sold the World“ bettete er in ein weiches Synthiearrangement um, das im Original pathetisch zischelnde „Heroes“ verwandelte er in eine elegante Pianoballade. In der Liederliste des Musicals stehen auch drei unveröffentlichte Bowie-Songs. Sie sind auf CD 2 in der Originalversion von Bowie zu hören. Neben dem bereits erwähnten „No Plan“ sind dies das kühle „Killing a Little Time“ sowie das introvertierte, irgendwie hymnische „When I Met You“. Allesamt hat sie Bowie mit der von Saxofonist Donny McCaslin geleiteten Blackstar-Band eingespielt. Ganz gewiss werden diese drei Lieder den Verkauf anfeuern.

Ein letztes Mal wird man Zeuge, wie Bowies Stimme dann am echtesten klingt, wenn sie durch die Nebel des Artifiziellen irrt. Gerade durch ihre forcierte Künstlichkeit werden diese Songs zum Quell heißer Tränen. „I'm falling, man. I'm choking, man. I'm fading, man“ antizipiert Bowie in „Killing A Little Time“ das Unvordenkliche, die Passage ins Nichts. Ein letztes Mal vermählen sich Scharlatanerie und Ekstase, plustert sich Übertreibung mit Elan auf. Es mag Theaterdonner sein, aber einer der tief ins Herz vordringt.

Lazarus

Das Album erscheint morgen, Freitag, bei Sony Music. Das Musical wird von 25. 10. bis 21. 1. 2017 im Londoner King's Cross Theatre gezeigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2016)

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