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Pop: Der Sänger als First Lad of Tennessee

„Die Karriere meiner Frau beeinflusst auch meine Musik“, sagt Lambchop-Sänger Kurt Wagner.
„Die Karriere meiner Frau beeinflusst auch meine Musik“, sagt Lambchop-Sänger Kurt Wagner.(c) Mergerecords
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In Europa ist Kurt Wagner als Chef der Band Lambchop berühmt. In den USA ist seine Frau, Mary Mancini, deutlich bekannter: als Vorsitzende der Demokraten in Tennessee. Ihre Karriere hat nun auch seine Texte beeinflusst.

„Ich versuche, mich tunlichst über politische Entwicklungen zu informieren, damit ich als intelligentes Anhängsel meiner Frau akzeptiert werde“, sagt Kurt Wagner, Kopf von Lambchop, einer Großformation, die musikalisch zwischen Alternative Country und Soul pendelt. Wagner, ein Kettenraucher, der, als es stimmlich noch ging, auch Falsett sang, ist vor allem in Europa berühmt. In den USA ist seine Frau Mary Mancini, mit der er seit über 20 Jahren verheiratet ist, bekannter als er.

Die frühere Besitzerin von Lucy's, einem Independent-Plattengeschäft und Label in Nashville, hat sich von der Geschäftsfrau zur Politikerin gemausert. Im Jänner 2015 wurde sie zur Vorsitzenden der Demokratischen Partei in Tennessee gewählt. „Wir müssen definieren, was es heißt, Demokrat zu sein“, sagte sie bei ihrer Antrittsrede: „Wir können es nicht länger angehen lassen, dass die Republikaner definieren, wer wir sind.“

Jetzt ziert sie das Cover des zwölften Lambchop-Albums „Flotus“. Wenigstens teilweise. Weil Mancini ihrem Mann dringend davon abriet, das Originalfoto zu verwenden, das sie bei ihrem ersten Treffen mit Präsident Obama zeigt, malte es Wagner einfach ab und wählte einen eher exzentrischen Bildausschnitt. Die auf Mancinis Schulter ruhende Hand Obamas schaffte es aber in die Plattenläden. Wagner erklärt: „Ich würde nicht sagen, dass es ein politisches Album ist, aber Politik ist schon ein Teil meines Lebens. Die unerwartete Karriere meiner Frau beeinflusst auch meine Musik.“

Diesmal etwas expliziter als sonst. In „JFK“ erinnert Wagner an eine politische Losung der Sechzigerjahre: „We must build a culture of understanding“, forderte John F. Kennedy damals. Nach diesem polarisierenden US-Wahlkampf klingt das nur noch wie ein frommer Wunsch. Sozialer Unfriede wird gleich im ersten Song „In Care of 8675309“ fokussiert. Wagner zeichnet ein düsteres Sittenbild der amerikanischen Ellenbogengesellschaft: „Here's a lack of breeze behind the huckleberry trees, and the spin out there is that no one really cares.“ In bekannt ruhiger Art singt er von den welkenden Blumen, die die Regierung hier und da gepflanzt hat.

Barack Obamas Hand auf der Schulter der Politikerin Mary Mancini: das Cover des neuen Lambchop-Albums „Flotus“.
Barack Obamas Hand auf der Schulter der Politikerin Mary Mancini: das Cover des neuen Lambchop-Albums „Flotus“.(c) Mergerecords

Der Titel des Albums ist laut Wagner ein Akronym, das für „For Love Often Turns Us Still“ steht. Die Medien lesen ihn allerdings lieber als „First Lady of the US“. Tatsächlich vermischen sich die Themen Liebe und Politik in den neuen Liedern recht innig. Etwa im mehr als 18 Minuten langen „The Hustle“. Statt Gitarren locken flatternde Beats, die sich anhören wie müde Rotorblätter eines Hubschraubers. Wagner fantasiert von einer unscharf wahrgenommenen Traumgestalt: „We'll have sunshine filtered through the phases of the fall.“ Ob hier der Sturz in die Zeit oder schlicht die Phasen des Herbsts gemeint sind? Eigentlich egal. Es geht um eine Liebe, die Schmerz und Verletzung riskiert.

Mit 57 Jahren Auto-Tune entdeckt

Wagner hält nichts von Kalkül. Auch nicht in seiner Kunst. Lieber erfindet er sich jetzt, mit 57 Jahren, neu. „Flotus“ überrascht mit elektronischen Elementen. Am markantesten ist dabei der durch den Stimmprozessor Auto-Tune gejagte Gesang. Um Perfektion zu erzielen, wird diese Technologie im Country seit den Achtzigerjahren angewendet. Wagner ging es genau ums Gegenteil: „Mir gefiel es, dass man mit diesem Gerät, je nachdem, welche Einstellung man vornimmt, einen Sound mit Seele erzeugen kann. Alles klingt dann weniger perfekt, was doch zu jedem von uns passt, oder?“ Keiner weiß mehr genau, wie es begonnen hat, dass sich dieser quietschige Stimmsound in die Herzen der Popmusikhörer gebohrt hat. Kanye West und Usher, Cher und T-Pain, sie alle hatten große Hits mit modulierter Stimmführung. Wagner kam eher zufällig dazu. Als Kettenraucher verbringt er viel Zeit vor seinem Haus in Nashville. Dort lauscht er dann interessiert einem Mix an Sounds: Zikaden, Eisenbahnsignaltöne, Vogelgeschrei, die hell auflammenden und jäh ersterbenden Klänge aus den Radios vorbeifahrender Autos. Und dann war da noch der Sohn der Nachbarn, der sich regelmäßig in seinen im Garten aufgebockten, kaputten Pontiac Firebird setzte, um darin brüllend laut Crunk zu hören, einen aus dem Süden der USA stammenden, aggressiven Substil des Hiphop. Mit viel Auto-Tune.

So kam die neue Technologie an Wagners Ohren – und aufs neue Album, auf dem er mit ihrer Hilfe Soulfulness und Künstlichkeit verbindet. Während die internationale Popkritik begeistert ist, zeigt sich die Gattin bezüglich Auto-Tune reserviert: Mit so einer Piepsstimme käme ihr der Kurt nicht über die Schwelle. Da ist die Demokratin ganz konservativ.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2016)

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