Wolfgang Muthspiel: Filigranes Meisterwerk

Glück. Wolfgang Muthspiel musiziert mit internationalen Partnern.
Glück. Wolfgang Muthspiel musiziert mit internationalen Partnern.(c) Laura Pleifer
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Wolfgang Muthspiel zählt zur Weltspitze des Jazz. Sein bislang schönstes Album „Rising Grace“ könnte zum Klassiker werden.

Mein Leitprinzip ist es, immer die erstmögliche Ausfahrt zu nehmen, wenn sich ein Ende anbahnt. Nichts ist schlimmer als ewig mäandernde Enden“, sagt der österreichische Gitarrist Wolfgang Muthspiel über den heiklen Moment, hitziges Interplay in Stille zu überführen. Nun ziert sein zweites Soloalbum auf dem renommierten Label ECM ein Stück, das sich „Ending Music“ nennt. Eine kleine Vignette, auf der Labelboss Manfred Eicher bestand. „Es handelt sich um die Endsequenz eines Stücks, das es nicht aufs Album geschafft hat, die aber Eicher so gut gefallen hat, dass er beim Mixing darauf zurückkam. Ich hätte das Motiv schon wieder vergessen gehabt.“ ECM, Eichers seit 47 Jahren bestehendes Label, das zuletzt auch Bücher und Filme edierte, veröffentliche Musik, die dem „zweitschönsten Klang nach der Stille“ nachlauscht, wie es ein kanadisches Magazin einmal so trefflich beschrieb. Muthspiels neues Opus, „Rising Grace“, passt perfekt in den strengen Kanon von ECM, der unter anderem Großtaten von Mal Waldron, Keith Jarrett, Charles Lloyd und Jan Garbarek veröffentlicht hat. Aufgenommen in Frankreich mit seinen alten Freunden, dem Bassisten Larry Grenadier sowie dem Schlagzeuger Brian Blade, der schon mit Granden wie Wayne Shorter, Chick Corea und sogar Bob Dylan getrommelt hat. Als Stargäste holte er sich den Trompeter Ambrose Akinmusire sowie den hypersensiblen Pianisten Brad Mehldau. Einen Künstler, der als schwierig gilt, den Muthspiel aber bezüglich der Musik als „egoless“ beschreibt. „Er hat einen sehr dichten Terminkalender. Es war jedenfalls alles andere als selbstverständlich, dass er bei uns mitmacht. Ich kenne ihn schon länger und hab ihm vor ein paar Jahren eine Komposition gewidmet. Er hat sehr nett darauf reagiert. Seither hab ich ihn häufig getroffen. Er spielt ja oft mit Musikern, mit denen auch ich spiele. Eines Tages habe ich gefragt. Ich hab ihm das Projekt beschrieben, und erfreulicherweise hat er einfach Ja gesagt.“ Das atmosphärisch dichte, sehr introspektive Album wurde in nur acht Tagen realisiert. Nur drei davon verbrachte man im Studio. „Ich habe die Stücke in der Hoffnung so gebaut, dass sich die Kollegen daran erfreuen und beteiligen. Am Ende hatten sie alle Lust am Projekt.“

Zwischentitel. Der 1965 in Judenburg geborene Muthspiel ist nach Josef Zawinul der erste österreichische Jazzer, der mit der absoluten Weltspitze spielt. Ist ihm das bewusst? „Eigentlich schon. Aber ich würde auch die Saxofonisten Hans Koller und Wolfgang Puschnig dazuzählen. Mir ist schon klar, dass das jetzt eine großartige Zeit für mich ist. Dafür bin ich dankbar. Für mein Talent kann ich nichts, aber ich habe viel gearbeitet und natürlich auch Glück gehabt, dass mich niemand behindert hat. Ums Musikmachen hab ich nicht kämpfen müssen.“ Vielleicht herrscht auch deshalb bei Muthspiels Aufnahmesessions immer eine freundschaftliche Atmosphäre, die beinah Waldorf’sche Ausmaße hat. In der letzten goldenen Ära des Jazz, also zwischen den Fünfziger- und Siebzigerjahren, waren eine Menge rauere Kerle im Business. Der durchaus zur Gewalt neigende Bassist Charles Mingus etwa, oder Miles Davis und Joe Zawinul, die beide gern boxten. Braucht es Angst, damit gute Kunst passiert? Muthspiel verneint vehement. „Ich finde Angst keine besonders förderliche Emotion für kreatives Schaffen. Auseinandersetzung durchaus. Manche schönen Sachen werden in schweren Konflikten geboren, andere aus einem glücklichen Miteinander. Das ist vielleicht auch eine Generationenfrage. Früher war das mit der Angst mehr verbreitet.“ Ungute Atmosphäre schließt allein schon der Titel des neuen Muthspiel-Opus aus: „Rising Grace“. Der Titel steht für zweierlei. „Erstens ist das Stück eine Hommage an den Bassisten Steve Swallow, der einmal ein Stück geschrieben hat, das ,Falling Grace‘ hieß und das ich früher oft gespielt habe. Zweitens ist unsere Tochter gerade zu jener Zeit, als ich es komponiert habe, geboren worden. Sie hatte gesundheitlich einen ziemlich schwierigen ersten Monat. ,Grace‘ im Sinne von Gnade steht auch für meine Dankbarkeit, die ich dafür habe, dass letztlich alles gut verlaufen ist.“ Diese positive Stimmung durchzieht ein Album von schönster Filigranität. Ein bewusstes Statement gegen die Verherrlichung des Robusten in unserer Welt? „Bewusst sicher nicht, aber das Lyrische und Filigrane zieht sich schon durch meine Arbeit durch. ,Grace‘ kann man ja auch mit ,Anmut‘ übersetzen, was unheimlich gut auf sämtliche Spieler dieses Projekts passt.“

John Coltrane, der große Ikonoklast des Jazz, hat einst gesagt, wenn man nur aufrichtig genug ist, könne man auch ein Schuhband spielen. Für wie wichtig hält Muthspiel Authentizität in der Musik? „Für sehr wichtig in dem Sinn, dass man dem eigenen inneren Feedback zur Musik hundertprozentig vertrauen muss. Eine gewisse Sturheit halte ich für sehr wichtig. Man muss zu sich stehen. Es gibt so viel meisterhaft gespielte, komplexe Jazzmusik, die relativ wenig sagt. Viele sind gefangen von den Idealen, die sie erfüllen wollen, ohne zu fragen, wie ihnen das, was sie spielen, wirklich gefällt. Amateure sind oft berührender in ihrer Musikalität, weil sie diesen ganzen Ballast an Vorbildern nicht haben.“ Ventil für seine erzieherische Ader ist seit Langem eine Lehrverpflichtung an der Musikhochschule Basel. Im Herbst 2017 startet er dort ein sogenanntes Focusyear, bei dem junge Musiker von Größen wie Muthspiel, Steve Swallow, Joshua Redman, Django Bates und etlichen anderen Granden mehr betreut werden. Für die Aufnahme ist weder Alter noch Studienabschluss nötig, einzig Talent, Motivation und Eignung zählen.

Tipp

Wolfgang Muthspiel. Sein Album „Rising Grace“ erscheint bei ECM.

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