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So vertrackt war Rockmusik einst

King Crimson King Crimson is a musical group founded by guitarist Robert Fripp and drummer Michael G
King Crimson King Crimson is a musical group founded by guitarist Robert Fripp and drummer Michael G(c) imago/United Archives Internatio (imago stock&people)
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King Crimson, das alte Schlachtschiff des Progressive Rock, ankerte im Hafen Wien: fast drei Stunden, geprägt von klaren Sounds, Soulfulness und Kunstwollen.

Wenn Maestro Robert Fripp ruft, raffen sie sich noch einmal auf, die Gymnasiasten der späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre. Friedhofsblond oder kahl pilgern sie dann in eine Konzerthalle und raunen den Bandnamen King Crimson, als wäre er eine Zauberformel. Ein Rückfall in alte, testosteronhaltigere Zeiten ist dann unabwendbar, obwohl kaum je Frauen bei King-Crimson-Konzerten gesichtet werden. Viele der alten Zausel reklamieren dann kühn die Deutungshoheit für die genialen Rätselhaftigkeiten dieser Band für sich . . .

Auch im Foyer des Museumsquartiers brachen vor dem Konzert Rivalitäten bezüglich der surrealen Doppelbödigkeiten von Songtexten und der Qualität der wechselnden Leadsänger auf. Einig war man sich bloß darin, dass King Crimson die würdigste Band des Progressive Rock ist. Ihr Debüt „In The Court of the Crimson King“ (1969) gilt als erstes Album eines Genres, das kreativ bald im Pomp à la Genesis, ELP und Yes ersticken sollte. Hätte es darin ausschließlich Bands von der bedingungslosen Musikalität King Crimsons gegeben, wäre eine Punk-Revolution vielleicht gar nicht nötig gewesen: Der Gedanke, dass man gerade dann Musik machen sollte, wenn man sein Instrument nicht beherrscht, war schön, aber nicht nachhaltig. Aus heutiger Perspektive erstaunt jedenfalls, wie kurz die Zeit zwischen der Elaboriertheit des Progrock und dem Wutgeheul des Punk war. Heute sind beide längst im Stadium der Historizität. Die Punkheroen The Damned sind derzeit auf 40-Jahre-Jubiläums-Tour, und King Crimson zelebrieren ihren natürlichen Hang zur Prachtentfaltung weltweit.

Die drei Schlagzeuger im Vordergrund der Bühne sorgten zunächst für kleinere Angstschübe. Mit „Tuning Up“, einer dem Stimmen von Instrumenten gewidmeten Miniatur, begann die fast dreistündige Reise in die exzentrischen Klangwelten des erratischen Herrn Robert Fripp.

Motive aus der Bundeshymne

Als vertrauensbildende Maßnahme tändelte Flötist Mel Collins dann in „Pictures of a City“ mit Motiven der österreichischen Bundeshymne. Schweren Gitarrenriffs stand bereits hier geziertes Kunstwollen von Mellotron und Saxofon gegenüber. Bei King Crimson regiert das Prinzip, die dialektische Spannung zwischen dem Unbewussten und dem Rationalen hörbar zu machen. Bald in Wohlklang, wie in dem lieblichen Gitarreninterludium, das Fripp in „Cirkus“ einbaute, bald in böser Dissonanz wie bei „The Letters“. Zwischen diesen Polen waren die sieben Musiker in ständiger Bewegung, schließlich laugt nichts mehr aus als der Müßiggang. Der neue Sänger Jakko Jakszyk brillierte mit jenem verhaltenen Pathos, das in der goldenen Backhendlzeit des Progrock üblich war. Das endzeitliche „Epitaph“ sang er mit dem wehen Ton eines Soulsängers, das peitschende „Easy Money“ mit der Rauheit eines Heavy-Metal-Shouters. Weitere gesangliche Highlights waren das drängende „Starless and Bible Black“ und das hauchzarte „The Court of the Crimson King“, bei dem Fripp hofratsmäßig orgelte. Genussvoll schritten die Musiker die große Vergangenheit ab. „Lark's Tongues in Aspic“, die einer altrömischen Delikatesse zugeeignete Suite, verwöhnte mit Komplexität, „Red“ mit unverwandter Erdigkeit.

Modeikone Coco Chanel beurteilte die Menschen danach, wie sie ihr Geld ausgeben. Die Art, wie Fripp und Freunde Noten verschleudern, ohne zu urassen, hätte ihr wohl behagt. Zum Ausklang des Hochamts wurde eine kunstvoll räudige Version von „21st Century Schizoid Man“ gereicht. Da hatten die Altfans längst Wasser in den Augen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2016)

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