Pop

George Michael: Vorhangringe am Ohr, das Herz auf der Zunge

Georgios Kyriakos Panagiotou vulgo George Michael (1963–2016).
Georgios Kyriakos Panagiotou vulgo George Michael (1963–2016).(c) REUTERS (STEFAN WERMUTH)
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Alle kennen sein „Last Christmas“. Doch George Michael war mehr als ein Teeniesänger, er war ein großer Crooner. Seine besten Songs sind komprimiertes Welttheater. Jetzt ist er nur 53-jährig an Herzversagen gestorben, just am Christtag.

Den frühen Tod thematisierte George Michael 2004 im wehmütigen „John & Elvis Are Dead“: „If Jesus is going to save us from ourselves, how come peace, love and Elvis are dead?“ Diesen unverstellt pessimistischen Song schrieb er mit David Austin, einem Gefährten aus den Tagen von Wham!, dem Teenie-Popduo mit Rufzeichen im Titel.

Austin war es auch, dem er 1981 in der englischen TV-Sendung „Top of the Pops“ schicksalhafte Worte zuflüsterte: „This is it. This is the rest of my life.“ Weil eine andere Band ausgefallen war, waren Wham! kurzfristig eingeladen worden. Es war der Beginn einer Weltkarriere. Damals prasselten Michael die Hits nur so aus der Pranke: „Wham Rap!“, „Club Tropicana“, „Wake Me Up Before You Go-Go“ und „Last Christmas“, das zuerst „Last Easter“ hieß und auf Druck der Plattenfirma auf Weihnachten umgeschrieben wurde. „Ich wundere mich ein wenig, dass uns die Leute überhaupt zugehört haben“, sagte Michael später über die stilistisch unebene Anfangszeit: „Wir trugen pastellfarbene, lächerliche Shorts, und ich hatte Vorhangringe an den Ohrläppchen hängen.“

Den Weg in den Erwachsenen-Pop ebnete ihm die majestätische Ballade „Careless Whisper“. Sie wurde zum Welterfolg, doch der Erfolg ängstigte ihn. Sein Leben war voller uneingestandener Ambivalenzen. Sich als homosexuell zu outen, traute er sich erst nach dem Tod der Mutter. Zu seinem Vater hatte er ein schwieriges Verhältnis. Der schwärmte lieber von den Machoqualitäten des Wham!-Kollegen Andrew Ridgeley: „He's a leader“, meinte er in der TV-Doku „A Different Story“ über diesen klassischen Blender.

Indessen tüftelte Songschreiber Michael an seiner ganz individuellen Adaption afroamerikanischer Stile wie Soul, Rap und Funk in Verbindung mit trotzig-hedonistischen Texten aus Working-Class-Perspektive. „He jerk, you work“, ätzte etwa ein arbeitsloser Partyfreund in „Wham Rap“.

„Faith“, „I Want Your Sex“

Dass die Versuchungen des Highlife ein zweischneidiges Schwert sind, erkannte Michael spätestens in den zehn Monaten nach Erscheinen seines ersten Soloalbums, „Faith“, 1987. In den USA hielt es sich zwölf Wochen an der Chartsspitze und lukrierte vier Nummer-eins-Hits. Darunter „Father Figure“ und „I Want Your Sex“ mit der unvergesslichen Zeile: „Every man's got his patience and here's where mine ends: I want your sex.“

Dem frisch erworbenen Superstar-Status begegnete der pickelige Knabe aus dem Londoner Vorort Finchley skeptisch: „Das wird nicht gut gehen. Die Karriere ist keine Straße ins Glück.“ Die Probleme begannen, als er sich 1990 weigerte, für das Nachfolgealbum „Listen Without Prejudice Vol. 1“ Promotion zu machen. Im gewinnsüchtigen Amerika gilt es als Blasphemie, die Nützlichkeit des eigenen Erfolgs anzuzweifeln. Vom Album verkauften sich acht Millionen Stück, doch ein Rechtsstreit mit dem Label Sony folgte bald. Michael wollte aus dem Vertrag, den er als naiver Achtzehnjähriger unterschrieben hatte. Das misslang. Dann kaufte ihn das Label Virgin aus dem Vertrag. Michaels drittes Album, „Older“, erschien 1996. Es enthielt mit „Jesus to a Child“ eine anrührende Liebeserklärung an seinen Lebensgefährten, Anselmo Feleppa.

2004 erschien „Patience“, das letzte Werk mit eigenen Songs. Souverän erhob sich George Michael noch einmal aus der Asche von Skandalen, Selbstsabotage und Todesfällen. Der zündende Groove von „Outside“ erinnerte an die Disco-Glanztaten der Bee Gees. Im Video ironisiert er den Sexvorfall mit einem Polizisten auf einer öffentlichen Toilette in Beverley Hills, der ihn sein amerikanisches Publikum kostete. In „Shoot the Dog“ versuchte er sich an der Politik und kritisierte George W. Bush und Tony Blair.

Dem Triumph folgte eine noch längere Krise. Mit dem Coveralbum „Songs from the Last Century“ versuchte er sich im Kielwasser der großen Crooner aus der Apathie zu ziehen. Das gelang nur teilweise. In seinen letzten Jahren kam George Michael eher durch Leiden und Eskapaden als durch musikalische Großtaten in die Schlagzeilen. Er wurde mehrmals verhaftet. 2011 kollabierte er kurz vor einem Konzert in Wien. An die drei Wochen verbrachte er im Koma im AKH. Ein Jahr später gastierte er ein letztes Mal in der Wiener Stadthalle. Allzu üppige Geigenarrangements strapazierten die Nerven der Altfans. Doch sein Gesang begeisterte noch immer. Mit eleganter Wehmut kündete er von der Dialektik seines speziellen Deliriums. Fast alles in seinem Leben war kaputt. Er baute zugedröhnt Verkehrsunfälle, wurde wegen Drogenbesitzes verhaftet, trotzdem füllte er die Säle. Der simple Grund dafür war die Verführungskraft seiner Stimme. Wenn er in Form war, konnte er die Lächerlichkeit des falschen Lebens mit wenigen Tönen denunzieren.

Zuletzt hatte es Hinweise auf ein Comeback gegeben. Doch am 25. 12. verstarb George Michael im Kreis seiner Lieben in seinem Haus in Oxfordshire. Nennen wir es stilvolle Ironie der Popgeschichte, dass es just am Weihnachtstag passierte.

Reaktionen

Andrew Ridgeley, Michaels Partner im Duo Wham!, schrieb auf Twitter über George Michael (Spitzname „Yog“): „Heartbroken at the loss of my beloved friend Yog.“ Me, his loved ones, his friends, the world of music, the world at large. 4ever loved. A xx.“

Madonna postete ein Video von den MTV Video Music Awards 1989 und schrieb dazu: „Farewell my friend! Another great artist leaves us. Can 2016 f--k off now?” Sie meint damit wohl auch, dass heuer so viele große Popmusiker gestorben sind: u. a. David Bowie, Prince und Leonard Cohen.

Elton John, der 1991 mit Michael „Don't Let the Sun Go Down on Me” sang, schrieb auf Instagram: „I am in deep shock. I have lost a beloved friend – the kindest, most generous soul and a brilliant artist.”

Duran Duran, die wie Wham! den Sound der Achtzigerjahre geprägt haben, twitterten über den „loss of another talented soul“; die Pet Shop Boys schrieben: „Dear George, gone too soon.“ Paul McCartney lobte seinen Humor, Boy George rief George Michael, dem Buddhisten, nach: „I hope the Buddha will hold him in his arms.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2016)

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