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„Bowie hat mich verändert“

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US-ENTERTAINMENT-BRITAIN-MUSIC-BOWIEAPA/AFP/ANGELA WEISS
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Heute vor einem Jahr veröffentlichte David Bowie sein letztes Album. Der Saxofonist Donny McCaslin hat „Blackstar“ wesentlich mitgeprägt.

In London läuft Bowies Off-Broadway-Musical „Lazarus“ im King's Cross Theatre noch bis 22. Jänner. Haben Sie es gesehen?

Donny McCaslin: Natürlich. Es hat mir behagt, dass es in einem größeren Raum als bei der ersten Inszenierung in New York gespielt wird. Das zweite Mal hat es mir überhaupt besser gefallen, weil ich mehr davon verstanden habe. Es ist ja inhaltlich sehr komplex, sehr dicht.

Hat Bowie Ihnen gegenüber angedeutet, wie wichtig dieses Musical für ihn war?

Es war eigentlich kein Thema zwischen uns. Er war in jeden Aspekt der Produktion, also auch ins Casting, involviert. Wie ich erst viel später herausfand, gab es Tage, an denen er nach sechs, sieben Stunden anstrengender Aufnahmen für „Blackstar“ noch ins Theater wechselte, um Details mit dem musikalischen Leiter von „Lazarus“ zu besprechen. Die künstlerische Kontrolle darüber war ihm definitiv wichtig.

Was waren Ihre wichtigsten Jobs als Sideman, Ihre musikalische Entwicklung betreffend?

Ich war noch im College, da fragte mich Vibraphonist Gary Burton, ob ich mit ihm auf Tour gehen würde. Was ich natürlich sehr gern tat. Sehr erleuchtend war für mich meine Zeit mit der Fusiongruppe Steps Ahead. Die Zusammenarbeit mit Pianist Danilo Pérez und später mit Trompeter Dave Douglas war ebenfalls signifikant für meine spätere künstlerische Entfaltung. Und natürlich das Engagement in Maria Schneiders Big Band. Sie war es ja, die mich David Bowie empfohlen hat.

Wie erinnern Sie sich an Ihre erste Begegnung mit David Bowie?

Ich spielte mit meiner Band einen Gig in der 55 Bar in Greenwich Village. Unangekündigt saß Bowie im Publikum. Mir schlug das Herz bis zum Hals, als ich ihn erspähte. Natürlich wollten wir ihn beeindrucken. Aber alles, was er nachher sagte, war: „Wow, das war ja ziemlich laut.“

Hat es Sie dann überrascht, dass er Sie 2015 samt Band für die Aufnahmen im Magic Shop Studio in New York engagiert hat?

Sagen wir so: Ich habe gewusst, dass es im Bereich des Möglichen liegt.

Als Saxofonist der Maria Schneider Big Band hatten Sie ja schon 2014 mit Bowie das Stück „Sue (Or in a Season of Crime)“ aufgenommen. Das muss sich für Sie aber eher so angefühlt haben, als wären Sie bloß ein Zahnrädchen in einem riesigen Getriebe. Wie ging es Ihnen dabei als Solist?

Jeder meint, im Jazz könne man jederzeit spielen, was einem in den Sinn kommt. In einem großen Ensemble geht das natürlich nicht. Es gibt Vorgaben, an die man sich zu halten hat. Das heißt aber nicht, dass man diese nicht mit Leben füllen darf, innerhalb der Restriktion gibt es doch viel Freiheit.

Nach dem Tod von David Bowie haben Sie Ihr elftes Soloalbum, „Beyond Now“, herausgebracht. Im Booklet schreiben Sie, dass von nun an Angstfreiheit Ihr künstlerisches Leben prägen werde. Wie kam das?

Die Arbeit mit Bowie hat mich für immer verändert. Mit einem so visionären Künstler etwas gemeinsam kreieren zu dürfen, war das bislang größte Privileg meiner Karriere. Es hat mich ungemein beeindruckt, mit welchem Nachdruck er seine Ideen verfolgte. Er war Ende 60, schwer krank, wollte aber unbedingt noch einmal musikalisches Neuland erreichen.

Was wollten Sie mit „Beyond Now“ künstlerisch erreichen?

Das Album sollte ein letzter Gruß an Bowie sein. Für „Beyond Now“ ersehnten wir uns als Band eine ähnliche Tiefe, wie sie „Blackstar“ hat. Wir haben ja durch die Zusammenarbeit mit Bowie ein ganz neues Niveau an musikalischer Interaktion erreicht. Auch das wollte ich dokumentieren.

Konnten Sie im Studio mit Bowie überhaupt eigene Ideen realisieren?

Auf jeden Fall. Zunächst hatte ich die Perspektive, in erster Linie Bowies Liedern zu dienen. Aber das wollte er nicht. Er verlangte mehr. Und so gab er manchmal nur eine vage Struktur, den Spirit eines Stücks vor, um uns kreativ in Bewegung zu bringen. Da war viel Improvisation im Spiel.

Was wollten Sie mit Ihrem Albumtitel „Beyond Now“ ausdrücken?

Die letzten beiden Jahre waren eine emotionale Hochschaubahn für mich. Der kreative Höhenflug an der Seite von Bowie, dann der Schock seines plötzlichen Todes. Obwohl natürlich alle, die mit ihm arbeiteten, wussten, dass er krank war, war sein Ableben letztlich doch sehr überraschend. Mit dieser großen Emotion wollten wir als Band etwas Kreatives anfangen.

Mit „Warszawa“ und „A Small Plot of Land“ haben Sie auch zwei Kompositionen von David Bowie auf dem Album. Warum fiel Ihre Wahl ausgerechnet auf diese zwei Stücke?

Als David am 10. Jänner starb, war ich mit meiner Band für 14 Konzerte im New Yorker Jazzklub Village Vanguard engagiert. Keyboarder Jason Lindner schlug vor, „Warszawa“ jeden Abend als Tribut an ihn zu spielen. Das taten wir, und es half uns, unsere Trauer zu kanalisieren. Es war eine so kathartische Erfahrung, dass wir es unbedingt aufnehmen wollten. „A Small Plot of Land“ kam viel später. Uns hat das Original gefallen, das ja ziemlich avantgardistisch beginnt.

Was ist das Vermächtnis von David Bowie?

Er ist gewiss einer der wenigen, dessen Musik noch viele spätere Generationen hören werden. Sein Mut zum Risiko, seine ausufernde Fantasie und die Tatsache, dass er sich in seiner aktivsten Zeit permanent gewandelt hat, sind von zeitloser Faszination.

Wie wird es mit Ihnen weitergehen?

Dank unserer Mitwirkung an „Blackstar“ ist das Interesse an unserer Musik massiv gestiegen. Dafür sind wir dankbar, obwohl wir nicht bis ans Ende unserer Tage als ehemalige Bowie-Begleitband gelten wollen. Wir werden uns ganz sicher musikalisch weiterbewegen. 

Steckbrief

Donny McCaslin, Saxofonist, Flötist, Klarinettist, wurde 1966 in Santa Clara, Kalifornien, geboren.

1978
spielt er in der Band seines Vaters, eines Vibraphonisten.

1980
gründet er seine erste eigene Band.

1991 wird er Mitglied der Fusiontruppe Steps Ahead.

2015
engagiert ihn David Bowie samt seiner Band für die Aufnahmen seines letzten Albums, „Blackstar“.

2016
veröffentlicht er mit seiner Gruppe das avantgardistische Jazzalbum „Beyond Now“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2017)

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