Pop

Luzide verjazzter Bach

(c) Wiener Konzerthaus
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Brad Mehldau, Popstar des Jazz, verzauberte in Wien mit seiner exzentrischen Bach-Interpretation.

„Auch in Deutschland werden die Stimmen lauter, die den lockeren Umgang mit der Klassik, besonders das Bach-Verjazzen, eingeschränkt wissen wollen“, meinte der „Spiegel“ anno 1964. Hätte es damals schon Brad Mehldau gegeben, wäre dieser Satz wohl so nie geschrieben worden. Aber damals stöhnten Intellektuelle unter Jacques Loussiers unfassbar seichten Bach-Exkursionen, die sich wie geschnitten Brot verkauften. Darüber darf man nicht vergessen, dass sich viele ernsthafte Jazzgrößen mit Bach auseinandergesetzt haben. Big-Band-Swinger Benny Goodman tat es ebenso wie Pianist Dave Brubeck mit seiner mitreißenden Interpretation der „Brandenburgischen Konzerte“. Das Modern Jazz Concert umkreiste die Bach'schen Präludien wie Joachim Kühn dessen Kantaten und Motetten.

Brad Mehldau hat sich mit Schubert und Brahms bereits auseinandergesetzt. Jetzt also Bach. Nicht ungewöhnlich für den germanophilen Amerikaner, der zunächst Klassik studiert hat. Diese bürgerliche Sozialisation verrätselt Mehldau gern durch martialische Tätowierungen, exzentrische Popinterpretationen und krude elektronische Experimente. Konventionell darf es halt nie sein. Ausgehend vom „Präludium 3 Cis-Dur“ katapultierte Mehldau uns in ein Universum, in dem jegliche Genregrenzen kunstvoll zerflossen. Fein säuberlich trennte er seine luziden Interpretation von seinen gedankenschweren Improvisationen. Mit geradezu apollinischem Gestus verdichtete er melodische Elemente, verwischte rhythmische Muster, mäanderte verspielt um die Harmonien. Besonders beglückend flutete seine „Toccata“ ans Ohr. Fürwitzig fügte er frische Ideen mit der linken Hand ein, kreiste kunstvoll um die emotionale Essenz.

Die Zugaben kamen aus Pop und Jazz. Eine düstere Version von Radioheads „Little by Little“ entzückte da genauso wie die bluesige Lesart von Gershwins „How Long Has This Been Going On“. Würdiger Schlusspunkt war „The Inch Worm“, ein trunkener Walzer, mit dem einst schon John Coltrane die Jazznomenklatura schockierte. Mehldau tat dies an diesem Abend einzig mit seinen Hochwasserhosen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2017)

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