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Schnipo Schranke: "Haschisch ist für mich Medizin"

(c) Simone Scardovelli
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Das Hamburger Duo Schnipo Schranke legt nach einem wüsten Debüt mit dem nicht minder deftigen Album "Rare" nach. Im Interview sprachen die Musikerinnen über plötzlichen Ruhm.

Mit deftigen Liedzeilen wie „Ich brauche Liebe, brauche Halt und einen, der mich knallt“ eroberten sie 2015 die Feuilletons. Der Name dieses in Hamburg ansässigen Fräuleinduos lautet Schnipo Schranke. Den haben sie eines Abends beim Fernsehen beim Humoristen Kurt Krömer aufgeschnappt und gleich gekapert. Schnipo steht für Schnitzel mit Pommes frites. Schranke für die weiß-rote Beigabe Mayonnaise plus Ketchup. Ehe sie kreativ explodierten, mussten Daniela Reis und Fritzi Ernst, die zwei Sängerinnen und Komponistinnen von Schnipo Schranke, eine Phase nervenzerfetzenden Müßiggangs überstehen.

„Entweder wir bringen uns jetzt um, oder wir machen was, das von Belang ist“, rief Reis eines Tages aus. Das von der gemeinsamen Ausbildung an der Musikhochschule Frankfurt schwer gefrustete Duo wollte es mit eigener Musik schaffen. Noch auffälliger als die Eingängigkeit ihrer Melodien war das rüde Vokabular, mit dem sie ihre Liebeslieder möblierten. „Die Medien haben sich da voll drauf gestürzt. Mit unserer derben Sprache sind wir früher nur angeeckt. Jetzt aber, wo wir eine Band sind, nimmt man uns ernst“, freut sich Fritzi Ernst.


Treiber Haschisch

Mit „Pisse“, einem Lied, das frech mögliche olfaktorische Nebeneffekte von Oralsex poetisierte, hatten sie ihren ersten Hit. Auf ihrem eben erschienenen zweiten Album, „Rare“, geht es ähnlich ordinär zu. Ein hochkulturell sich in die Gehörgänge schraubendes Klavierintro täuscht zunächst anderes vor, dann aber geht's in die Vollen. „Ich reit durch Pipi, Sperma und so weiter“ heißt es im flotten „Pimmelreiter“. Dazwischen träumt die Protagonistin von einer „Haschischlulle“, also einem fetten Joint. Nach dem großen Erfolg des Debüts verspürten die beiden diesmal Druck.

Das neue Opus entstand auf dem Land, außerhalb Berlins. Elf rau-poetische Vignetten, die in die wilden Lebenswelten von Twens führen, sind dabei entstanden. Dazu gehört auch die habituelle Dröhnung, wie sie im Song „Haschproleten“ gepriesen wird. „Morgens bin ich immer down, ich muss erst mal einen bauen, doch davor muss ich kacken – ich kann beides zugleich packen.“ Ist das tatsächlich autobiografisch? „Ja“, sagt Reis, „das Haschen ist in meinem Fall fast medizinisch. Ich neige zur Depression. Da wuchern Ängste, die keine reale Basis haben. Mit einer Haschischlulle ist so was schnell aus der Welt geschafft. Das geht schneller als Therapie.“ Auch die so wunderbar brav aussehende Fritzi Ernst vertraut den lustigen Rauchwaren. „Ich bin da aber nicht so manisch. Ich kann auch mal ein paar Tage aufhören.“ Mit dieser Neigung fallen sie in Hamburgs Szene nicht sonderlich auf. Als sie noch gänzlich unbekannt waren, steckten sie dem Musikveteranen und erfolgreichen Romanautor Rocko Schamoni ihre CD mit den kühnen Worten „Wir werden bald berühmter sein als du“ zu. Er zeigte sich beeindruckt, griff den jungen Damen aber nicht unter die Arme.


Tote Katzen

Jetzt sind sie wohl tatsächlich berühmter als er. „Wenigstens außerhalb von Hamburg. Wenn ich mir seine Facebook-Likes ansehe, dann stinkt er gegen uns ab. Aber er hat natürlich einen ganz anderen Wirkungsbereich und hat sicher mehr geleistet als wir. Doch das liegt auch daran, dass wir noch jung sind“, sagt Reis. Und so vergeuden sie frohgemut ihre Jugend mit der Liebe zu toten Katzen („Wieder allein“) und einer sich nicht gerade im Trend befindlichen Sportart namens Murmelspiel: „Alles Scheiße außer Murmelbahn, ich schau mir gerne Murmeln an.“ Unterm Spaß lauert bei Schnipo Schranke oft die Existenzphilosophie. Etwa in „Stars“, wo es an die Schnittstelle von Wirklichkeit und virtueller Realität geht. „Ich bin ein Kind der allerersten Welt. Weil mich nichts interessiert, was mich nicht inszeniert“, heißt es in diesem leicht verzweifelten Song, der dennoch mit dem trotzigen Diktum endet: „Ich häng in den Seilen, und doch bin ich eine von den Geilen.“ „Das ist ein ziemlich zynischer Song“, sagt Reis, „die Protagonistin ist ja alles andere als davon überzeugt, zu den Geilen zu gehören.“

Das Lied entstand während einer Post-Tour-Depression. „Zwischen dem Hype und der neuerlichen Einsamkeit zu Hause liegt eine ganz schöne Diskrepanz. Ich habe mich gefragt, verändert es mein Denken, wenn mich andere toll finden? Die Antwort ist eher nein.“ In den meisten anderen Songs geht es aber in bekannt rüdem Ton um die Liebe. Kann man romantische Möglichkeiten heute nur mehr so brutal benennen? „Es ist auf jeden Fall auch privat meine Art, damit umzugehen“, sagt Reis. „Ich pflege mit meinem Mann eine derbe Romantik. Aus ihr entstehen viele Songs.“ Ernst sekundiert. „Hinter der Liebe lauert doch der Alltag. Der kann nur selten blumig beschrieben werden. Aber was soll's, wir lieben diese Art von Nüchternheit.“

zur band

Indiepop-Duo aus Hamburg. Bestehend aus den beiden Sängerinnen Daniela Reis (geboren 1988) und Friederike Ernst (geboren 1989).

Studium. Lernten einander als Studentinnen der Musikhochschule Frankfurt/Main kennen.

2012. Gründung von Schnipo Schranke nach einem Terminus des Humoristen Kurt Krömer.

2014. Die Musikerinnen erregten mit ihrem Song „Pisse“ die Gemüter. 2015 folgte das famose Debütalbum „Satt“.

2017. Eben erschien der nicht minder kunstvolle Nachfolger „rare“ auf dem Hamburger Independent Label Buback

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2017)

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