Pop

„Am Meer ein Traum von Amor“

Dieter Thomas Kuhn & Band Konzert
Dieter Thomas Kuhn & Band Konzert(c) imago/Future Image (imago stock&people)
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Schlager kann die Herzen wärmen und trösten, aber auch verwirren: Dieter Thomas Kuhn zelebrierte im Wiener WUK die einschlägigen Tugenden der Siebzigerjahre.

Gewaltige Hemdkrägen, opulente Brustausschnitte, Glockenhosen und selbstverständlich reichlich Glitter am Leib des Sängers: In wunderherrlichem Siebzigerjahre-Ornat betrat die siebenköpfige Kapelle die sonst so schundig wirkende Bühne des WUK. Und sogleich führte ein elegant hüpfender Bass in Richtung ewige Sehnsucht: „Quando, quando, quando“ hieß das – zuletzt von US-Mädchenschwarm Michael Bublé interpretierte – erste Lied.

Mit schmachtendem Timbre trug Dieter Thomas Kuhn sein Offert vor: „Lass uns träumen am Meer einen Traum von Amor, denn so schön wie ein Traum kommt dir dann das Leben vor.“ Ein Satz, beinah so formschön wie der Citroën DS. Von hydropneumatischer Federung schien auch der Groove dieses Klassikers von Meeresschlager zu sein. Das große Wasser ist nämlich nicht bloß ein Thema wie die sieben Fässer Wein, der Zucker im Kaffee oder ein bisschen Frieden. Nein, das Meer singt selbst. Eigenständig und undurchschaubar ist es als Element wie als Metapher. Und so galt der Refrain – „Sag mir quando, sag mir wann. Sag mir, quando, quando, quando ich dich wiedersehen kann“ – wohl nicht nur der oder dem Angebeteten, sondern auch dem Wiedersehen mit dem Meere selbst.

Man sieht: Obwohl in einfacher Sprache gehalten, kann Schlager durchaus verwirren. Dafür verantwortlich ist die Himmelsmacht Liebe, die laut Dietrich Kaysers 1975 veröffentlichtem Standardwerk „Der Schlager – das Lied als Ware“ eine tragende Rolle spielt. Kuhns Setlist spiegelte diese Erkenntnis treulich wider. Die jubilierende Jürgen-Marcus-Nummer „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“ war gar ein Manifest für die transzendentalen Möglichkeiten hormonschwangerer Begegnungen. „Ist das noch dieselbe Straße, die ich schon seit vielen Jahren geh? Ist das noch die dieselbe Stadt, die ich im Licht der Sterne glitzern seh?“, fragte Kuhn rhetorisch, um den tobenden Fans letztlich die beseligende Antwort zu servieren: „Alles ist so wunderbar, dass man es kaum verstehen kann.“ Aber Kuhn gedachte in den schönsten Momenten auch derer, die es nicht so fein haben, wie den armen Gastarbeitern in Udo Jürgens' „Griechischer Wein“. Sozialromantik pur herrschte auch in Kuhns ehrbarer Version von Peter Alexanders „Das kleine Beisl“. Da war die Menge schon enthemmt. Immer wieder sprangen Mädels auf die Bühne. Kuhn ließ sich nicht ungern bedrängen, warf aber eine heikle Frage auf: „Was machen die eigentlich beruflich?“

Anders als heutige Schlagersänger, die auf Technorhythmen und Sterilität machen, setzt Kuhn stolz auf eine vitale Bläsersektion, fette Orgel und Schweiß in der Achselhöhle. „Tanze Samba mit mir“ und „Dschingis Khan“ provozierten gewagte Schrittkombinationen. Dann ging es wieder in Nachdenklichkeiten à la „Fremde oder Freunde“. In diesem Howard-Carpendale-Hit von 1976 geht es um das Bangen um eine Liebe. „Ich streich den Himmel himmelblau für dich“, versprach Kuhn dann mit den Worten Rio Reisers in „Für immer und dich“. Er realisierte das mit dickem Pinsel. Wer auch immer im Saal Verlangen nach alternativen Liebeserinnerungen gehabt haben mag, Kuhns Illusionskunst hat gewiss geholfen: zum surrealen Wohlgefallen, das guter Schlager erzeugt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2017)

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