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Der Blues der verlorenen Tage

Britischer Bluesmeister: John Mayall, 83.
Britischer Bluesmeister: John Mayall, 83.(c) imago/Agencia EFE (imago stock&people)
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Fast alle Großen des britischen Blues haben bei John Mayall gelernt. Heute ist er 83 – und gut beinander. In Wien zelebrierte er den alten Mythos der Neuen Welt.

Dass er in eine Lebensphase der abnehmenden Kräfte eingetreten wäre, kann vom britischen Bluesbarden John Mayall nicht gerade sagen. Der Mann ist 83 Jahre alt und fit wie der sprichwörtliche Turnschuh. Vor seinem Auftritt im ausverkauften Porgy & Bess breitete er ein rot glitzerndes Tüchlein über einen Stehtisch im Zwischengeschoß und fingerte aus einem Aktenkoffer allerlei – selbstverständlich selbst bemalte – Schilder heraus. Türkis las man „Autographs Tonight Only“, und in blutvollem Rot: „Warning: I will only be selling and signing my CDs before the show!“ Ja, wenn der Handverkauf in Zeiten wie diesen nicht wäre, die Musikanten könnten sich keine Butter auf den Toast schmieren . . .

Direkt vom Verkaufsstand ging Mayall auf die Bühne. Dort warteten schon ein Bassist und ein Schlagzeuger auf ihn. Mit Albert Kings „Oh, Pretty Woman“ startete er dynamisch. Die Orgel zischte, der Bass wimmerte, die Trommeln gaben Feuer. 1967 hat Mayall den Titel mit seinen längst legendären Bluesbreakers erstmals aufgenommen. Es war das erste Mayall-Album, auf dem der damals blutjunge Gitarrist Mick Taylor spielte, der 1969 zu den Rolling Stones einsteigen sollte.

Erinnerung ans alte New Orleans

Dass Mayall heute, unglaubliche 50 Jahre später, keinen Gitarristen auf Tour mit hat, störte nicht. Der Sound, den das Trio entwickelte, war von hoher Delikatesse. „Movin' Out And Movin' On“ war dann die erste Eigenkomposition, die der seit Ende der Sechzigerjahre in Kalifornien residierende Elder Statesman des Blues an diesem Abend anriß. Beinah alles, was im britischen Blues und R&B Rang und Namen hat, ist ja durch seine Schule gegangen, Eric Clapton, Peter Green, Mick Taylor, Jack Bruce, um nur die bekanntesten zu nennen. Einige seiner ehemaligen Schüler sind schon tot, andere durch Drogen devastiert. Der Altmeister aber ist fidel wie eh und je. Gut, in Sonny Boy Williamsons Klassiker „Help Me“ entwickelte er nicht annähernd solche Glut wie Van Morrison, dafür war seine Version unerwartet subtil. Das ist rar in einem Genre, in dem es um die Basics geht: Geld, Essen, Alkohol und Frauen.

„I Want All My Money Back“ forderte er brüsk im gleichnamigen Song von Lonnie Brooks. An anderer Stelle hieß es harsch „Gimme Some Of That Gumbo“. Die Rhythmen waren hier wunderbar versetzt, wie in der „Second line“ eines Blaskapellenumzugs im alten New Orleans, der Wiege der afroamerikanischen Musik. „Das ist schon ein Blues, aber jazzig“, wunderte sich ein Besucher auch über die gediegene Version von „Demons At The Night“. Dann wieder machte sich Mayall auf die Suche nach der verlorenen Zeit: „Blues For The Lost Days“ beklagte die leeren Tage nach den ekstatischen Nächten, die wohl im wirklichen Leben für Mayall nur mehr Erinnerung sind. Der Mann hat heute die lichte Aura eines Asexuellen. Besonders zu Herzen ging „Walking On Sunset“, eine Meditation über einen Abendspaziergang am Sunset Boulevard. „Everything is like a friend“ hieß es da, und Mayall schwärmte wie ein Teenager: „A new magic world, I never felt so free.“ Der Mythos, der Amerika einmal war, in John Mayalls Welt ist er noch lebendig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2017)

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