Pop

In Krems werden Ketten gesprengt

„Die Tradition des Donaufestivals ist der Traditionsbruch“: der neue Intendant, Thomas Edlinger, geboren 1967 in Wien, Radiomacher und Autor (u. a. eines Buchs über das „Unbehagen an der Kritik“).
„Die Tradition des Donaufestivals ist der Traditionsbruch“: der neue Intendant, Thomas Edlinger, geboren 1967 in Wien, Radiomacher und Autor (u. a. eines Buchs über das „Unbehagen an der Kritik“).(c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
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Post-Punk, Nackte, Theorie: Der neue Intendant, Thomas Edlinger, hat sein erstes Programm vorgestellt. Zentralthema ist Empathie, Motto: „Du steckst mich an.“

Gleich mehrfach die Urbanität und Weltoffenheit des Donaufestivals betonte Johanna Mikl-Leitner, die als niederösterreichische Landeshauptfrau in der Tradition Erwin Prölls die Kulturagenden mit übernehmen wird. Tatsächlich: Dieses Festival hat unter dem Intendanten Tomas Zierhofer-Kin die Unrast der Avantgarde in das Kremser Idyll gebracht. Das hat viele Wiener Hipster nach Krems gelockt, das wiederum hat der Wiener Kulturpolitik so gut gefallen, dass sie Zierhofer zu ihren Festwochen geholt hat.

Auf ihn folgt Thomas Edlinger, u. a. den FM4-Hörern als allseits gebildeter Pop-Intellektueller bekannt, der am Donnerstag sein erstes Programm vorstellte: Die Tradition des Donaufestivals sei der Traditionsbruch, sagte er gleich, und doch meinte man zu spüren, wie sich die Atmosphäre des Festivals unter Edlinger ändern könnte. Er wirkt nachdenklicher, gelassener als Zierhofer; er weiß, dass das Épater la bourgeoisie, das dieser gern laut und mit kräftigen Wörtern zelebriert hat, sich abnützen, zur Pose werden kann. Seine Idealvorstellung eines Festivals, sagte er, sei eine Parallelwelt, „wo Störgeräusche plötzlich nicht mehr stören, wo das Avancierte wie Pop gehört werden kann und der Pop ein Risiko nimmt“.

Entsprechend nuanciert ist das Generalthema seines ersten Festivals: Es geht um Empathie, „Du steckst mich an“, ist das Motto, es kann dreifach gelesen werden, als Euphorisierung, als (giftige) Ansteckung, als (elektrisches) Plug-in. In der neuen Reihe „Theory & Talk“ werden u. a. die feministische Biologin Donna Haraway und die Essayistin Leslie Jamison („The Empathy Exams“) reden. Als neuer Spielort kommt zur längst als solcher etablierten Minoritenkirche die – ebenfalls säkularisierte – Dominikanerkirche: Doris Uhlich bringt nackte Performer in den hautfarbenen Raum, deren körperliche Unvollkommenheit werde auch die Zuseher dazu bringen, „Frieden mit dem eigenen Körper zu schließen“, verhieß Bettina Kogler, Kuratorin für Performance. In der Galerie am Eck wird indessen Vika Kirchenbauer die Körper und Gesichter von Infrarotkameras abtasten lassen, Empathie mündet hier wohl in Überwachungsfantasien.

Comeback von Ricky Shayne

Das Musikprogramm bringt viel aktuelle Störgeräuschpoesie, etwa von Ian William Craig, und eine „theatrale Fantasie“ von Colin Self, es wurzelt auffällig in der bisher reflektiertesten Phase des Pop, der New Wave bzw. dem Post-Punk: Es kommen die Einstürzenden Neubauten, Scritti Politti (bei Philosophen berühmt für ihre Hommage an Jacques Derrida) und This Heat, die sich jetzt This Is Not This Heat nennen. Älteren Linzern in einer Punkversion bekannt ist „Ich sprenge alle Ketten“: Das Original ist vom libanesischen Schlagersänger Ricky Shayne aus dem Jahr 1967, er brachte damals das Wunsch- und/oder Angstbild des wilden arabischen Mannes in die Hitparaden, Techno-Produzent Justus Köhncke holt es (und auch Shayne selbst) zurück auf die Bühne.

Dass ein aufgeschlossenes Publikum sich manchmal auch gern entführen lässt, nutzt ein „Überraschungsformat“ namens „Stockholm-Syndrom“: Im Programmheft liest man nur Raunendes wie „Tod denen, die Tod den Hippies riefen“, Thomas Edlinger verspricht aber, dass alle Teilnehmer wohlbehalten zurückkehren werden. Womöglich, um Schnitzelsemmeln zu essen, die, Kohlenhydratskeptiker werden's bedauern, weiterhin zentral auf dem Speiseplan des Festivals stehen. So viel Konservativismus muss man ertragen in Krems.

Donaufestival: 28. April bis 1. Mai, 5. und 6. Mai.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2017)

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