Pop

Konservative Jazz-Rebellion

„Harmoniegesang in einer Welt, die aus den Fugen geraten scheint“: Manhattan Transfer. Im Bild, von links nach rechts: Trist Curless, Cheryl Bentyne, Alan Paul, Janis Siegel.
„Harmoniegesang in einer Welt, die aus den Fugen geraten scheint“: Manhattan Transfer. Im Bild, von links nach rechts: Trist Curless, Cheryl Bentyne, Alan Paul, Janis Siegel.(c) Manhattan Transfer
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Manhattan Transfer, das Gesangsquartett aus New York, bleibt dem Harmoniegesang treu. Derzeit ist es auf Österreich-Tournee. "Die Presse" sprach mit Sänger Alan Paul.

Aufs erste Hinhören klingen Manhattan Transfer ziemlich brav. Um ihre Form von konservativer Rebellion zu verstehen, muss man wissen: In den Siebzigerjahren, der Ära von Progressive Rock und Fusion, ein Vokalquartett zu gründen, das sich am Harmoniegesang der Vierzigerjahre orientiert, war ein ziemliches Wagnis. Eingefallen war das Tim Hauser, einem New Yorker Musiker mit burgenländischen Wurzeln, der damals Taxi fahren musste, um seine Miete zahlen zu können.

Bei Fahrten in Manhattan lernte er auch die Sängerinnen Laurel Massé und Janis Siegel kennen. Alan Paul erinnert sich: „Ich spielte damals in ,Grease‘ am Broadway. Laurel Massé holte öfters den Schlagzeuger ab. So kam ich drauf, dass sie eine Band hatten. Die sah ich mir eines Nachts an und hörte dort zum ersten Mal Janis Siegel singen. Ich war begeistert. Ich konnte nicht glauben, dass so eine junge Frau so eine reife Stimme hat.“ Ein paar Wochen später fragten ihn die beiden, ob er nicht ihrem anderen gemeinsamen Projekt namens The Manhattan Transfer beitreten wollte. Bereits nach dem ersten Treffen mit Bandleader Tim Hauser sagte er zu. „Es interessierte mich sofort, weil es völlig außerhalb meiner Vorstellungen lag. Hauser wollte vierstimmigen Harmoniegesang, der klingen sollte wie der Count-Basie-Saxofonsatz. Das war ein Wagnis. Das gefiel mir.“

Von Bette Midler vermittelt

Die Besetzung stand, jetzt musste man sich nur noch übers Repertoire einigen. „Zunächst stürzten wir uns auf unsere Lieblingsmelodien aus der Ära der Bigbands. Wir übten in Hausers Wohnung, in der es praktisch keine Möbel außer Plattenregale gab. Das ergab einen tollen Sound. Wir wollten klingen wie die Pied Pipers, die Modernaires und die Ink Spots auf einmal. Ein halbes Jahr waren wir in Klausur, dann wagten wir uns in die Nachtclubs raus.“

Die nach John Dos Passos' Großstadtroman von 1925 benannten Manhattan Transfer waren sofort eine kleine Sensation. Dennoch bissen die Plattenfirmen nicht an. Zweieinhalb Jahre putzten sie erfolglos Klinken. „Die hatten alle Angst, dass wir nicht kommerziell genug wären. Sängerin Bette Midler rettete uns, indem sie uns die Rutsche zu Ahmet Ertegun, dem Chef des mächtigen Atlantic-Labels, legte. Er sah uns in Philadelphia und war sofort überzeugt von uns.“

Zunächst waren Manhattan Transfer in Europa erfolgreicher als in den USA. „Mit ,Chanson d'Amour‘ hatten wir einen Hit. Noch traten wir im Frack und formeller Kleidung auf. Unser Manager warnte uns aber davor, zur Zirkusnummer zu werden. Also schauten wir uns nach neuem Material um. Mit dem Album ,Pastiche‘ wollten wir zeigen, dass unser nostalgischer Sound auch aktuelles Material auf neue Art hörbar macht.“ Den Durchbruch in den USA feierten sie ein Jahr später mit dem Album „Extensions“, das zwei Hits abwarf: die swingende Adaption von Joe Zawinuls „Birdland“ und Alan Pauls zart elektrifiziertes „Twilight Zone“, das auf den Dancefloor lockte. „Das hab ich geschrieben, als Disco eigentlich schon am Ende war. Es war nach der berühmt-berüchtigten Disco Demolition Night in Chicago, wo im Rahmen eines Baseballspiels eine Kiste mit Disco-Platten in die Luft gesprengt wurde. Was für eine Idiotie.“ Disco-Superstar Nile Rodgers verglich dieses Event gar mit der Bücherverbrennung der Nazis. So unrecht hatte er damit gar nicht, findet Paul.

Manhattan Transfer blieben geistig wendig und probierten sich in vielen Genres: Swing und Vocalese, Samba und Pop. 2009 experimentierten sie auf „The Chick-Corea-Songbook“ gar mit Fusion. Das war das letzte Album mit Tim Hauser, der im Herbst 2014 überraschend starb. „Wir standen total unter Schock. Zunächst machten wir nur weiter, weil wir noch ein paar Konzertverpflichtungen hatten.“

Mittlerweile stehen Manhattan Transfer aber wieder im Studio und nehmen mit dem neuen Sänger, Trist Curless, auf. „Schön langsam legt sich der Sturm, den der Tod unseres Freundes in uns hinterlassen hat. Wir machen in seinem Sinne weiter, praktizieren Harmoniegesang in einer Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint.“

Österreich-Termine: 6. 4., Wien, Museumsquartier, 7. 4., St. Pölten, VAZ, 8. 4., Graz, Congress Stefaniensaal, 10. 4., Salzburg, Mozarteum.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2017)

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