Pop

Nino aus Wien: Was soll man denn noch singen?

(C) Problembär Records/ Pamela Russmann
  • Drucken

Ein Blick auf den „Summer of Love“, ein Loblied des Schlafs und des Winters im April: „Wach“, das neue Album des Nino aus Wien, ein kunstvoll verschrobenes Meisterwerk.

Jetzt ist der Sommer der Liebe bald auch schon wieder ein halbes Jahrhundert her: Leicht verzagt, fast betreten blickt die Welt auf 1967 zurück, auf das letzte Jahr, in dem (nicht nur) die Popmusik auf unschuldige Weise modern war, völlig bar der postmodernen Idee, dass sich alles, alles wiederhole. Dass man alles rezyklieren müsse: Die Steine rollen, man muss sie immer, immer wieder bergauf schieben . . . „Was sollen wir denn noch singen? Es ist doch alles schon gesungen“, sagt Nino Mandl vulgo Der Nino aus Wien, die Silben kläglich ziehend, in „Johnny Ramone“, einem älteren seiner Lieder. Bei der Präsentation des neuen Albums, „Wach“, im dicht gefüllten großen Saal der Wiener Arena brachte seine fantastische, stets so präzise wie nötig und so leger wie möglich spielende Band auch dieses knappe Punk-Statement. Eins, zwei, drei, vier, alle Ramones sind schon tot.

Ein paar Songs davor hielt der Nino (die Kurzform ist bitte nicht als Distanzlosigkeit zu verstehen!) kurz inne und murmelte etwas über den „Summer of love“, man verstand „Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band“ und „John Wesley Harding“ (so heißt das ebenfalls 1967 erschienene Album von Bob Dylan), dann hörte man Sitarklänge und eine seltsam vertraute, träg fließende, in sich verschlungene Melodie . . . „Stress di net, die Welt is' groß und klan, lass' ma's bleib'n, verlor'n is nix und alle san daham auf der Scheib'n“, sang der Nino, ausnahmsweise im Dialekt, und dergleichen ewige Wahr- und Weisheiten mehr. „Zeit zum Werden“ heißt das Lied, eine Variation über „Within You Without You“ von den Beatles, den Song, in dem George Harrison 1967 sein Indien fand.

Es ist doch alles schon gesungen. Es ist doch alles schon empfunden. Mag sein. Aber man muss es immer wieder neu empfinden und singen. Die Steine rollen. „Wenn du es nicht weitersagst, zeig ich dir, was ich schon gefunden hab“, singt Nino im ersten Song des Albums, kommentiert von der findigen Gitarre Ernst Moldens, des Allgegenwärtigen des heutigen Austropop. Im zweiten Song, „Sandy Simmons on My Mind“, singt der Nino das Lob einer Frau – „Die Sechziger wirken so jetzt bei dir“ – und fragt sie: „Kennst du denn dieses Lied von den Kinks, wo er singt: Es ist zu viel in meinem Hirn drin?“ Und wie er dann das Wort Rock 'n' Roll im Mund bewegt . . .

„Du weißt, du drehst dich im Kreis“: So beginnt das vorletzte Lied, „Sei froh“, es folgen Klavierakkorde, die jeden Erdbewohner mit Kontakt zur Zivilisation an „Hey Jude“ erinnern, später setzt der Schlagzeuger polternd ein wie einst Ringo Starr. „Du kennst nur die Uhr gegen die Zeit“: So endet der erste Teil des Songs, die Sitar hallt, im zweiten steigert sich der Nino, der überhaupt nicht so fad singt, wie manche sagen, in ein Furioso an Verheißungen: „Verflucht ist der, der nie Probleme verschweigt; verloren ist der, der sich selbst am besten kennt; verwirrt ist der, der immer alles weiß.“

„Nur selten hab ich einen Plan“

Nino Mandl ist verloren und verwirrt, er kennt sich selbst am besten und weiß immer alles. Und das Gegenteil sowieso. Er ist wach und schläfrig zugleich, er kennt den Winter im April, er spricht wie das Schweigen, wer das Zitat erkannt hat, darf ihn „Bob Dylan von Wien“ nennen. Das ist schon geschehen, er verträgt auch das.

Die Gegenwart des Austropop ist er sowieso, schon weil er mit dessen Vergangenheit verfährt wie ein Schmetterlingssammler, der seine Präparate ständig umsteckt. „In den Siebzigern gab es ,Es lebe der Zentralfriedhof‘, in den Achtzigern gab es ,Es lebe der Sport‘, jetzt gibt es ,Es lebe der Schlaf‘“, so stellte er in der Arena das gleichnamige Lied vor. Gute Ansage.

Hat dieser müdäugige Bub, der, so geht die Mär, von Wasser zu Wasser zieht, von der Donau an den Donaukanal, von Triest an den Gardasee, hat dieser seelenwache Mann eine Richtung? „Nur selten hab ich einen Plan“, singt er im „Sunshine Blues“, „die Lösungen sind gut getarnt. Ich hab mich in der Zeit verloren, plötzlich bin ich jünger 'worden.“ Und die Sitar singt dazu. Wie wohl sein 1968 wird?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.