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Jazzmusiker Koglmann: "Ich hasse das Gekreische auf der Trompete"

„Ich halte nichts vom ständigen positiven Denken“: Franz Koglmann, ernster Jazzmusiker in Wien.
„Ich halte nichts vom ständigen positiven Denken“: Franz Koglmann, ernster Jazzmusiker in Wien. (c) Michele Pauty
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Franz Koglmann, der große Coole des heimischen Jazz, feiert seinen 70. Geburtstag - und gibt ein Konzert im Radiokulturhaus. Mit der "Presse" sprach er über die Wurzeln seiner Coolness, Melancholie und den Denker Emil Cioran.

Die Presse: 70 Jahre Franz Koglmann – wie fühlt sich das an?

Franz Koglmann: Ja, eh nicht viel anders als früher. Ich bin eher darauf gespannt, wie es sein wird, wenn man über 70 ist, weil der Wolf Wondratschek behauptet ja, dass man sich erst dann richtig gut fühle.

Sind Sie zuversichtlich, dass musikalisch noch etwas möglich ist?

Auf jeden Fall. Gerade im Jazz haben viele Musiker im fortgeschrittenen Alter noch interessante Musik gemacht. Der Clark Terry etwa, der 2015 mit 94 Jahren gestorben ist. Der hat schon keine Haxen mehr gehabt und dann halt im Bett liegend Trompete gespielt.

Ist das Älterwerden nicht eine einzige Kränkung? Oder gewinnt man in dieser Phase sogar Neues?

Schwierig zu sagen. Von Philip Roth gibt es diesen berühmten Satz, dass das Alter ein Massaker sei. Der gefällt mir irgendwie, obwohl ich vom großen Absturz bislang verschont geblieben bin. Ob was besser geworden ist? Wohl kaum. Nur eines weiß ich, dass ich als Komponist früher skrupelloser war. Eine Zeit lang habe ich geglaubt, dass einem Erfahrung beim Schreiben hilft. Ein Irrtum.

In Ihrem Werk dominiert die Melancholie. Woran liegt das?

Es könnte sein, dass es einfach mit Wien zu tun hat. In meiner Arbeit verbindet sich die Wiener Melancholie, die man von Schubert und Alban Berg kennt, mit der internationalen Melancholie, wie sie etwa der Cool Jazz eines Chet Baker hochhielt.

Was lieben Sie so an Chet Bakers Spiel?

Ich habe ihn oft live gesehen. Es war stets ein Erlebnis. Seine fein gezeichneten Linien waren ein Hochgenuss. Wichtig war mir, dass er nie hohe Töne gespielt hat. Ich hasse das Gekreische auf der Trompete. Zudem war er wohl der beste männliche Jazzsänger.

Heute im Radiokulturhaus spielt zu Ihren Ehren auch der Franzose Stéphane Belmondo eine Hommage an Chet Baker. Hat er als Nachgeborener automatisch einen anderen Ton?

Nein. Mit dem Free Jazz hat sich das mit der Generationsidentität so ziemlich aufgehört. Die große Erzählung des Jazz war zu Ende. Seither ist alles möglich, steht alles nebeneinander. Aber Belmondos Ton gefällt mir.

„In einer Welt ohne Melancholie würden Nachtigallen anfangen zu rülpsen“, schrieb der rumänisch-französische Denker Emil Cioran einmal. Stimmt das?

Ich finde schon. Ich halte nichts vom ständigen positiven Denken, von der vertrottelten Spaßgesellschaft. Nur die Melancholie hält diesen Tendenzen etwas entgegen.

Wie haben Sie Cioran für sich entdeckt?

Zunächst über seine aphoristischen Schriften. Viel später, als Sibiu, das einstige Hermannstadt, zur Kulturhauptstadt wurde, bekam ich einen Kompositionsauftrag und habe mich sehr intensiv mit Cioran beschäftigt. Er stammte ja aus dem nur wenige Kilometer entfernten Rasinari. Für „Nächtliche Spaziergänge“ verband ich u. a. Motive aus Haydns „Hermannstädter Symphonie“ mit gesprochenen Zitaten von Cioran.

Was gibt Ihnen dieser radikale Skeptiker?

Was ich an ihm so bestechend finde, ist das völlige Fehlen von Sentimentalität. Die geht zuweilen bis zur absoluten Gefühllosigkeit. Ich schätze die Klarheit seines Denkens, seine intellektuelle Distanz zur Welt.

Ist Ihnen in der Musik Komplexität oder Simplizität wichtiger?

Kunst muss komplex sein. Aber eine gewisse Simplizität am Instrument ist mir auch wichtig. Als Improvisator am Flügelhorn, das ich lieber spiele als die klassische Trompete, geht es mir nicht um Virtuosität. Beim Komponieren reizt mich mehr die Komplexität, aber eine, die gut durchhörbar ist.

Man braucht ein intelligentes Ohr, um Jazz zu genießen, hat Schlagzeuger Art Blakey einmal gesagt. Hatte er recht?

„We always play in form“, hat der Trompeter Wynton Marsalis einmal in Wien gesagt. Egal ob zwölftaktiger Blues oder 32-taktiger Song, die Intelligenz des Hörers besteht dann darin, diese Form nachzuvollziehen. Das hat Blakey wohl gemeint.

Aber es genießen doch auch viele musikalisch Ungeschulte komplexe Musik. Wie ist das zu erklären?

Das ist einfach eine Paradoxie. Aber selbst einem großen Komponisten wie Hans Werner Henze war manches im Jazz nicht klar. So hat er einmal den Hans Koller gefragt: „Wie wissen Sie, dass Sie im Blues jetzt im sechsten Takt sind?“ Die Antwort Kollers war ein lapidares „Jo, wos waaß i?“. Intuition ist halt auch sehr wichtig.

Anders als Chet Baker haben Sie nie viel in Clubs gespielt. Warum?

Es war meist ein Zeitproblem. Meine vielen Kompositionsaufträge ließen wenig zu. Üben und Komponieren in Einklang zu bringen fiel mir immer schwer. Egal, was ich tat, ich hatte ein schlechtes Gewissen . . .

Wie gern waren Sie Leiter von „Between The Lines“, einem von einem Fondsmanager gegründeten Label?

Sehr gern. Wir konnten viele interessante Projekte verwirklichen. Negativ war nur, dass ich eigenen Kollegen absagen musste, weil es immer mehr Angebote gibt, als man brauchen kann. Wenn das irgendein Jurist macht, sagt der Musiker: „Eh klar, der hat keine Ahnung.“ Aber macht das ein Musiker, dann heißt es gleich: „So ein Arsch, der hat's notwendig.“

Denken Sie manchmal darüber nach, warum es Ihnen in Ihrer Kunst so wichtig ist, eine gewisse Coolness auszustrahlen?

Das ist halt meine Mentalität. Ich halte mich nicht für einen arroganten, abweisenden Menschen. Ich bin nicht der größte Kommunikator, aber durchaus ein freundlicher Zeitgenosse. Vielleicht kommt mein Bedürfnis nach Distanz von meiner Mutter, die hatte auch etwas Kühles. Weiß der Kuckuck . . .

ZUR PERSON

Konzert im Radiokulturhaus: Franz Koglmann Sextett: „My sweet old etcetera . . .“; Stéphane Belmondo Trio: „Love for Chet“; 22. Mai, 19.30 Uhr, Großer Sendesaal.Franz Koglmann, geboren 1947 in Mödling, spielt Trompete und Flügelhorn. Er begann im Free Jazz, entdeckte aber bald seine Liebe zum „Third Stream“ zwischen Klassik und Jazz, polemisierte virtuos gegen den Kult der freien Improvisation. Oft beziehen sich seine Werke auf bildende Kunst (z. B. Magritte) und Literatur (z. B. Nabokov, T. S. Eliot), in der Kantate „O Moon My Pin-Up“ vertonte er die „Pisaner Gesänge“ von Ezra Pound. Gemeinsam mit Ingrid Karl betreibt er die Wiener Musikgalerie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2017)

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