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Bryan Ferry in Wien: Ewig moderne Pop-Postmoderne

„Some thing that happened for the first time seem to be happening again“, sang er in „Where Or When“: Bryan Ferry beschwört auf seiner „Avonmore“-Tour vor allem große Popgeschichte, von seinem aktuellen Album bringt er kaum etwas. Heute (1. Juni) singt er in Graz.
„Some thing that happened for the first time seem to be happening again“, sang er in „Where Or When“: Bryan Ferry beschwört auf seiner „Avonmore“-Tour vor allem große Popgeschichte, von seinem aktuellen Album bringt er kaum etwas. Heute (1. Juni) singt er in Graz.(c) imago/STAR-MEDIA
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Elegant wie eh und je: Bryan Ferry brachte in der Wiener Stadthalle erstaunlich viele frühe Songs seiner Roxy Music - und einige sehr inspirierte Coverversionen von Bob Dylan bis Neil Young.

Die Hügel waren höher, und das Gras war grüner – als du jung warst“: Diese Zeilen – die 22 Jahre später die alten Pink Floyd variieren sollten – stammen aus dem ersten Album von Roxy Music, dieser auf wundersame Weise zugleich jäh modernen und akut nostalgischen Band. Ihr Sänger Bryan Ferry war damals, 1972, mit 27 Lebensjahren nicht mehr der Jüngste. Heute ist er das noch weniger, doch die Dringlichkeit ist geblieben, mit der er in diesem so verwirrenden wie packenden Song („If There Is Something“) eine Frau anfleht: „Ich würde alles für dich tun! Ich würde auf Berge klettern! In allen blauen Meeren schwimmen!“

Was für ein Kavalier. Was für ein Romantiker. Und doch: Bryan Ferry, mit seinen 71 Jahren souverän wie eh und je, wirft sich nicht weg, behält die Contenance. Das macht auch sein einzigartiger Gesangsstil: Er phrasiert mehr, als er singt, er kostet kaum einen Ton aus, seine Melodien haben etwas Nervöses, Pointillistisches. Wenn er wirklich dick aufträgt, dann weiß man: Jetzt malt er unechte Idyllen. In „Every Dream Home a Heartache“ zum Beispiel, einem kunstvollen Song vom zweiten Roxy-Music-Album („For Your Pleasure“, 1973). Da schwelgt er mit vollem Einsatz, mit vollem Ton („Is there a heaven? I'd like to think so!“), doch die Kenner wissen schon: Dieses Traumheim ist tragisch, die Angeschmachtete ist eine „inflatable doll“, aufgeblasen vom Atem des Einsamen.

Eheliche Treue und Eifersucht

Es waren fast lauter Kennerinnen und Kenner im Publikum, auffällig wenige Indie-Hipster – ihnen hat man offenbar erfolgreich eingeredet, dass Brian Eno der wirklich Coole bei Roxy Music war (und John Cale der Spiritus Rector von Velvet Underground) –, aber Menschen, denen man ansah und bisweilen anzuhören meinte (wenn sie gebannt mitsummten), dass diese Songs ihr Leben begleitet haben. Natürlich „Let's Stick Together“, diese (vom R'n'B-Sänger Wilbert Harrison gecoverte) Hymne auf die eheliche Treue. Natürlich „Jealous Guy“, das von John Lennon übernommene Bekenntnis. Aber auch weniger erwartete Coverversionen begeisterten: Bob Dylans „Simple Twist of Fate“ etwa, von Ferry leicht, spielerisch, fast neckisch interpretiert, aber doch mit Sinn für die Verwirrungen, um die es geht, mündend in einen bezaubernden Instrumentalteil, in dem sich Ferrys Mundharmonika, die Geige und die Sologitarre zärtlich aneinander rieben. (Ausgezeichnete Band übrigens.)

Oder „Like a Hurricane“ von Neil Young: Welche grausig pathetischen Aneignungen (The Mission!) hat dieser Song ertragen müssen! Ferry singt ihn nachdenklich, fast grüblerisch. Oder die Musicalnummer „Where Or When“, die mit ihrer Schilderung eines Déjà-vu-Erlebnisses ein Motiv des Abends vorgegeben hat: Richtig empfunden, ist es immer das erste Mal. Ein anderes Motiv bedeutet nur scheinbar das Gegenteil: „Next time is the best, we all know, but if there is no next time – where to go?“, heißt es in „Re-make/Re-model“, dem ersten Song des ersten Roxy-Music-Albums, in dem Saxofonistin Jorja Chalmers so irrwitzig quietschte, wie es sein muss in dieser grellen Beschwörung einer neuen Moderne – die sich freilich als Postmoderne herausstellt.

Das ist Geschichte. Große Popgeschichte. Bryan Ferry, bei aller nervösen Eleganz gegen Ende beinahe zu leutselig, feierte sie ohne jede Betulichkeit. Ganz zum Schluss noch „Editions of You“, mit seinen „boys“ und „sinky sirens“: Jubel für alles.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2017)

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