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Coldplay in Wien: Die perfekte Popband für Veganer

Chris Martin von Coldplay
Chris Martin von ColdplayREUTERS
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Coldplay schaffen es wie keine andere Band, Euphorie zu erzeugen. Auch im Wiener Praterstadion präsentierten sie sich in ihrer knallbunten Show naiv und anmaßend zugleich, eskapistisch und dann doch wieder politisch.

Als Beginn ihrer Niederkunft war 20.45 Uhr festgelegt, der Moment Zeit, an dem sich an diesem Tag und Nacht voneinander schieden: Erst dann konnten die Lichtmaschinen angeworfen werden. Rasch verschwanden die Dämonien des Alltags in einem zuckerlfarbigen Lichtermeer. Konfettikanonen und Raketen wurden abgeschossen. Kaleidoskopartige Lichtblumen umspielten die Musiker. Das Publikum war mit LED-Armbändern ausgestattet, die sie zum Teil einer Inszenierung machten, bei der es nicht wirklich aktiv werden konnte. Die vielfarbigen Lichteffekte am Armgelenk wurden nämlich von einem unsichtbaren Regisseur ausgelöst. Den theatralen Gesetzen geschuldet, war Sänger Chris Martin Austragungsort von komplexen Lichtreflexions-, Absorptions- und Brechungsvorgängen. An ihm sammelte sich das Licht, von ihm ging es dann auch wieder auf Reisen noch zu den entferntesten Rängen im Stadion. Seine Frohbotschaft: Eskapismus kann eine Art politische Strategie, Kitsch zuweilen auch Kunst sein.

Der von vielen Popliebhabern bevorzugten Genussformel „Schiach ist das neue Schön“ kann diese Band nichts abgewinnen. Dem belebenden Charme einer Ästhetik des Hässlichen trotzten die vier Briten bislang. Standhaft setzen Coldplay auf die Überzeugungskraft des Schönen im althergebrachten Sinn. Melodien, die schon beim ersten Hören höchst angenehm auf den Trommelfellen zergehen, Rhythmen, die beleben, und ein wonnevoller Falsettgesang, der beständig ermutigt. Sänger Chris Martin schafft es verlässlich, der Melancholie alle Erdenschwere zu nehmen. Selbst seine raren Lamentos streben himmelwärts.

Auszug aus „Der große Diktator“

Und doch wollten Coldplay an diesem Abend nicht nur einlullen. Sie erlaubten sich ein paar gesellschaftspolitische Statements. Als Intro ihres ersten Songs „Head Full of Dreams“ diente etwa ein langer Auszug aus der „Rede ans Volk“, die Charlie Chaplin seinen Despoten in „Der Große Diktator“ sprechen ließ. Ein Sujet, das popmusikalisch zwar zuvor schon von Paolo Nutini in „Iron Sky“ verarbeitet wurde, aber erst mit Coldplay so richtig Breitenwirkung erzielte. An anderer Stelle, nach dem Song „Everglow“, durfte der 2016 verstorbene Boxer Mohammmed Ali über seine Lesart des Koran Auskunft geben: „God is watching me“, hieß es da. Das kam besonders bei jenen an, die Glaubenssystemen abseits organisierter Religion anhängen. Coldplay ist die perfekte Band für Veganer und politisch Korrekte.

„Bin ich Teil der Heilung oder Teil der Krankheit?“, fragte Martin – wohl rein rhetorisch – im Song „Clocks“. Die Fans, an diesem Abend Menschen dreier Generationen, feiern ihn als eine Art Heiler. Niemand sonst, außer vielleicht Bono von U2, versteht es, mit wenigen gesungenen Worten existenzielle Ambivalenzen zu glätten. Martin kann nicht bloß trösten, sondern sein Publikum geradezu in Trance versetzen. Um die Empathie seiner Kundschaft anzustacheln, tat er einmal so, als hätte er einen Liedtext spontan vergessen. Derlei Manöver zeitigten Wirkung. Selten sah man so viele entrückt tanzende, richtig glückliche Fans.

Opernarie als Intro

Schon mit dem zweiten Song, der tränentriefenden Ballade „Yellow“, war das allgemeine Erregungslevel auf dem Höchststand. Interessant, dass sich die Band für eine Opernarie als Intro ihres Konzerts entschied. Die einst auch von Sex-Pistols-Mastermind Malcolm McLaren popmusikalisch verwertete Puccini-Arie „O mio babbino caro“ geisterte in der berückend schönen Version von Maria Callas ans Ohr. Darin erklärte eine Liebeskranke in wenigen Worten, dass sie eher sterben würde, als von ihrer Leidenschaft zu lassen. Eine Botschaft, wie sie einem dem Pathos zugeneigten Songschreiber wie Chris Martin behagt. „Leave your broken windows open“ rief er wenig später den von unbezähmbarer Liebe Zerzausten zu.

Empfindungsfähig zu bleiben, das ist ein gutes Ziel. Ermutigungen dieser Art erwarten die Fans. Wie jene offensichtlich Umwölkten, die ein Schild mit der Aufschrift „Coldplay, come burst our clouds. Amen!“ schwenkten. Erwartungsgemäß erzählte Martin die schönen Geschichten der Liebe, die Episoden, durch die das Blau des Himmels in den Blick kommt. So auch im sanft groovenden „Hymns for the Weekend“. Darin ging es um Engelserscheinungen der ganz konkreten, der fleischlichen Art. „When I was down, when I was hurt, you came to lift me up, life is a drink and love's a drug.“

Und dann ein Strauss-Walzer

Ja, so einfach kann's zuweilen hergehen. So dick kann die Hornhaut auf der Seele älterer Hörer gar nicht sein, als dass Wiederversöhnungshymnen wie „The Scientist“ oder verwirrte Liebesgeständnisse wie „Magic“ nicht ihre beseligende Wirkung entfalteten. Egal, ob mit eleganten Disco-Schnalzern wie „Adventure of a Lifetime“ oder dem wüsten Tiesto-Techno-Mix von „Paradise“, beinah überall wiesen Coldplay auf die Schönheiten eines Lebens in Wertevielfalt hin. In einer aus den Fugen geratenden Welt sollte das Verbreiten positiver Energie, die Leittugend von Coldplay, nicht unbedingt verlacht werden. Im Stadion tat das ohnehin kaum einer. Dort hing der Himmel lang vor Martins schräger vokaler Interpretation des Strauss-Walzers „An der schönen blauen Donau“ schon voller Geigen.

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