Pop

Tätowierte Lämmchen, Propheten des Zorns

Nova Rock
Nova Rock(c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET)
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Nova Rock, Nova Rap? Das beliebte Festival in den Pannonia Fields nahe Nickelsdorf bot beides.

Natürlich ist es nicht leicht, sich im Alltag im Gleichschritt mit der Welt kompromittieren zu müssen. Dass man dann aber auch in seiner Freizeit seine Ausgelassenheit, seine Subversion und die eventuell aufgestaute Wut willig in organisierte Bahnen lenken lässt, das hätte es vor zwei Generationen so noch nicht gegeben.

Am Nova Rock aber lassen sich Menschen, die sonst viel auf den Gestus „Fuck the System“ halten, lenken wie Vieh in der Massenhaltung. Vor zwei Jahren wurde das Geld am Festival abgeschafft. Da hätte man sich schon einigermaßen entmündigt vorkommen müssen. Schließlich ist nicht einmal eine einzelne Breze ohne die am Gelände zu erstehende Nova-Plastikwährung zu erwerben.


Anspringen. Paradox, dass der Aufstand gegen diese Maßnahme ausblieb, weil am Nova Rock ja Menschen zusammenkommen, die gern so tun, als würden sie gegen die angestammte Ordnung aufbegehren. Mitnichten! Stattdessen organisieren sich diese mit Vorliebe martialisch Aufgemascherlten – Tätowierung und Piercings sind Pflicht, will man in dieser Subkultur etwas gelten – in sogenannten Moshpits an den lärmigsten Stellen vor der Bühne. Dort wird dann Kreistanz mit gegenseitigem Anspringen praktiziert. Das sieht drollig aus und erinnert an transsylvanische Volkstänze. Besonders zu Herzen geht dieser Brauch an Regenabenden. Während sich die einen mit Plastik schützten, gaben sich andere den Wonnen des Gatsches hin. Bewundernswert stoisch ließ die Exekutive die kalten Güsse über sich ergehen. Der Kieberer mit Schirm ist immer noch nicht erfunden worden.

Flüssigkeiten delikaterer Art wurden auch noch vergossen. Nicht vom Schweiß ist hier die Rede, sondern von Tränen. Die standen Tausenden Fans in den Augen, als das 2016 gegründete, aus Haudegen von Rage Against The Machine, Cypress Hill und Public Enemy bestehende Rap-Rock-Hybrid Prophets of Rage dem vor wenigen Wochen aus dem Leben geschiedenen Chris Cornell eine Hommage widmeten, für die System-Of-A-Down-Sänger Sergej Tankian als Überraschungsgast fungierte. Mit viel Zärtlichkeit in der Stimme sang er die todesverliebte Audioslave-Ballade „Like A Stone“. Zu Zeilen wie „On my deathbed I will pray to the gods and the angels like a pagan to anyone“ entriegelte Tom Morello atemabschnürende Gitarrensoli. Überhaupt waren die Prophets of Rage die Überraschung des dritten Festivaltages.

Ihre Mischung aus aggressivem Rap und Rock war ganz nach dem Geschmack der Besucher. Auf den Schwingen trockener Beats und saftiger Gitarren rappten sich Chuck D. und B-Real mit Klassikern wie „Fight The Power“ und „Insane In The Brain“ in virile Ekstase. Zum Highlight wurde die Schlussnummer „Killing In The Name Of“, die Rage Against The Machine 1993 als Protest gegen Polizeibrutalität schufen. Noch lange hallte die von den Fans immer wieder skandierte Losung „Now you do what they told ya“ nach.


Beginner. Danach hieß es, sich entscheiden. Zum amüsanten Deutsch-Hop der Beginner oder sich der 30 Songs umfassenden Setlist der Kultrocker System Of A Down aussetzen? Während Jan Delay mit seiner Heliumstimme bezirzte, setzte Dennis Lisk alias Denyo auf Selbstironie. Als „Semi-Deutscher-Afro-Nigga“ machte er sich im Lied „Mikro in der Hand“ auf die Suche nach „Styles“ in seinem Land und bekannte, dass er trotz Gegenwind im Stehen pisst.

Auf der großen Bühne wurden in der Zwischenzeit Riffs von den Gitarren geschrubbt, die größer waren als das Leben. Die armenischstämmige US-Metalband System Of A Down spielte auf. Obwohl sie 17 Jahre kein neues Album mehr veröffentlicht haben, erfreuten sie sich größten Zuspruchs. Das mit viel Akzent von Sergej Tankian intonierte „Deer Dance“, der wüste „Prison Song“ oder Sanftes wie „Hypnotize“ – die patinierte Band überzeugte auf der ganzen Linie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2017)

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