Pop

Vintage mit Vocoder: Herbie Hancock in der Wiener Staatsoper

„Eigentlich sollte hier ein Bett für mich stehen“: Herbie Hancock in der Wiener Staatsoper.
„Eigentlich sollte hier ein Bett für mich stehen“: Herbie Hancock in der Wiener Staatsoper.APA/HERBERT NEUBAUER
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Jazzfest Wien: Rockjazz war in den Siebzigerjahren ein großes Abenteuer. In diese wilde Zeit zurück führte Herbie Hancock mit seinem Quintett – mit vielen verfremdeten Gesangsstimmen und viel retrofuturistischem Synthesizerklang.

„Ich glaube, ich wohne schon hier, so oft bin ich da“, erklärte der prächtig gelaunte Herbie Hancock, „eigentlich sollte hier ein Bett für mich stehen.“ Tatsächlich: Er war schon oft in der Staatsoper. Es ist wohl das wichtigste Verdienst des Wiener Jazzfests – das sich ja nicht durch sonderlich originelle Programmierung auszeichnet –, dass es Große des Jazz an diesem würdigen Ort auftreten lässt.

Hancock, dem man seine 77 Jahre nicht im Mindesten ansieht, ist zweifelsohne ein Großer des Jazz, ein Stilbildner: Im zweiten der legendären Quintette von Miles Davis ist er mit diesem den Weg zum elektrischen Jazz gegangen, war auch 1969 bei „In A Silent Way“ dabei, um dann in eigenen Formationen, etwa den Headhunters, den letzten großen Stil des Jazz zu prägen, den Rockjazz, auch Fusion genannt. Im Gegensatz zum quasi klassizistischen Hardbop, den Hancock in den Sechzigerjahren praktiziert hatte, war das ein wilder, abenteuerlicher, gar nicht glatter Stil, dem man die aus dem „Crossover“ zwischen Rock und Jazz gebliebenen Nahtstellen oft anhörte, der manchmal an allzu großer Lust am Vorzeigen von Virtuosität litt, dessen Funk oft nervös klang. Aber gerade dadurch auch lebendig.

In die, nein: in seine Pionierzeit dieses Stils versetzt sich Hancock mit seinem aktuellen Quintett, verwendet auch hauptsächlich Themen aus der Zeit, in der er noch mit hoher Afrofrisur am futuristischen Schaltbrett seiner Synthesizer saß: „Actual Proof“ etwa, das listige „Chameleon“ natürlich, oder „Come Running To Me“, in dem schon einst über den Vocoder gesungen wurde. Dieses zeittypische Gerät ähnelt in seiner Wirkung verblüffend dem heute im Pop allgegenwärtigen Autotune, wie dieses macht es den Gesang zum biegsamen, zu jedem Glissando fähigen Instrument. Das klang vielleicht vor 20 Jahren altmodisch, heute sagt man liebevoll Vintage dazu. Hancock und zwei seiner Mitmusiker sangen über den Vocoder, Gitarrist Lionel Loueke ließ dabei auch die musikalische Tradition seiner westafrikanischen Heimat einfließen.

Instrumental herrschte soviel Freiheit wie vokal, Musikdirektor Terrace Martin – selbst am Altsaxofon mit erfrischender Klarheit aktiv – gab nur die großen Strukturen vor, dem Schlagzeuger Vinnie Colaiuta hörte man zeitweise etwas zu gut an, dass er bei Frank Zappa gedient hat, und Loueke solierte manchmal – etwa bei dem ins Hip-Hop-Repertoire übergegangenen „Cantaloupe Island“ – so exzessiv, dass man gern leise gerufen hätte: Nicht so viele Noten!

Ende mit präzisem Luftsprung

Aber, wie gesagt, genau diese Üppigkeit gehört wohl zum genetischen Code des Rockjazz. So freute man sich an dessen Revitalisierung, gemeinsam mit Hancock, der am meisten beeindruckte, wenn er sich am Flügel in perfekter Spannungsarchitektur und höchster Intensität steigerte, bis er die Quarten beidhändig in die Tasten hieb. Am Ende machte er sich mit dem ebenfalls zeittypischen Keytar – einem Keyboard, das man sich wie eine Gitarre umhängt – abermals mobil, sprang schließlich in die Luft und landete präzise am letzten Ton auf dem Bühnenboden. Donnernder Applaus. Er soll noch lange hier wohnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2017)

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