Pop

„Platten sind wie eine Krankheit“

Musiker Boz Boorer bei einem seiner Wien-Besuche.
Musiker Boz Boorer bei einem seiner Wien-Besuche. (c) Patricia Weisskirchner
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Pop. Im Hauptberuf komponiert Gitarrist Boz Boorer die Musik von Morrissey. Daneben sammelt er fanatisch Platten und veröffentlicht Solomusik – in Wien.

Es ist ein Samstagvormittag im Hotel Harmonie, Boz Boorer ist noch müde, aber freut sich über sein Frühstück. Nimmt einen Schluck Kaffee, legt ein Blatt Käse auf die Semmel. Der Schinken wird unberührt bleiben. Alles andere wäre für Mitarbeiter des militanten Vegetariers Morrissey wohl ein Kündigungsgrund.

Im Universum des exzentrischen Briten ist Boz Boorer so etwas wie sein Musikdirektor. Morrissey kann zwar singen und klug und böse schreiben, doch das Komponieren hat er an seinen Gitarristen ausgelagert. Das kann man sich so vorstellen, dass Boorer von Morrissey erklärt bekommt, wohin die Reise gehen soll. Den Rest der Zeit sitzt er in seinem Haus in den Bergen in Portugal und hat freie Hand. „Manchmal ändert er dann noch etwas, manchmal nur ganz wenig. Das funktioniert gut.“

Daneben hat der 55-Jährige von Kindheit an ein Faible für Rockabilly. „Manchmal halten Teenagerlieben am längsten“, sagt Boorer (der seit 36 Jahren mit seiner Frau verheiratet ist). Seine Rockabilly-Band The Polecats existiert bis heute. Und er schreibt ganz eigene Musik, in der er sich von dem, was er gerade hört, inspirieren lässt. „Das habe ich von Siouxsie and the Banshees gelernt: dass es nicht immer nur einen Stil geben muss. Zumindest im Geheimen mag doch jeder auch noch etwas anderes.“

Sein jüngstes Soloalbum „The Age of Boom“ ist – Wieder – auf dem Wiener Label Fabrique erschienen Eine Folge der Tatsache, dass Labelmitgründer Michael Martinek eigentlich immer auf ein Morrissey-Konzert wollte, aber nie Karten bekam. Irgendwie, erzählt er, seien ihm dabei die lachenden Augen im stets ernstes Bühnengesicht des Gitarristen aufgefallen. Er schrieb ihn auf Facebook an, beim nächsten Wien-Konzert traf man sich auf ein Bier.

Als Musiker gegen den Brexit

Apropos Bier: Der Titelsong „The Age of Boom“ erzählt von einem pensionierten Babyboomer, der den ganzen Tag im Pub sitzt und wenig anderes tut, als den anderen hochtrabend die Welt zu erklären. Boorer selbst ist für Ähnliches noch nicht bereit. Nach 30 Jahren sind endlich beide Töchter aus dem Haus, „bleibt mehr Zeit für Gigs“. Auch wenn ihm das Schlafen im Bus nicht mehr glamourös erscheinen mag und er das Reisen zunehmend beschwerlich findet. Im Frühjahr war er mit Morrissey in den USA unterwegs. Dessen dortige Stimmprobleme seien nicht ernst, sondern auf einen Sandsturm bei einem Konzert in Mexiko zurückzuführen gewesen. „Wir haben uns noch gewundert, warum der Sänger vor uns eine Maske wie ein Japaner trug.“

Das Touren ist ein Grund, warum er letztlich auch gegen den Brexit gestimmt hat. „Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, als wir an jeder Grenze eine Liste mit unserem Equipment präsentieren mussten, man musste eine Kaution hinterlassen, durfte nichts verkaufen und musste die Liste bei der Ausreise wieder stempeln lassen – und das Gleiche im nächsten Land.“

Aber gut, meint er, notfalls ziehe er eben ganz nach Portugal. Das Einzige, was er dort nicht in der Nähe hat, sind Plattengeschäfte. Was als Nachteil zu werten ist. Denn Boorer ist leidenschaftlicher Sammler. Lang hatte er Teile seiner Sammlung im Keller eines Pubs gelagert. Vor drei Jahren eröffnete er dann einen Shop am Londoner Camden Market. Inzwischen musste die Häuserzeile einem Bauprojekt weichen. Er hat ein neues Souterrain bezogen. „Dort sitze ich dann, höre meine Platten und mag es gar nicht, wenn jemand die Treppe herunterkommt.“

Ein bisschen, sagt Boorer, sei das mit den Platten „ja wie eine Krankheit. Ich kaufe nicht ein oder zwei, sondern 50.“ Oder mehr. Noch gut könne er sich daran erinnern, wie er als Zehnjähriger über die Schwester eines Freundes staunte, die jede Woche eine neue Platte hatte. „Das waren 50 im Jahr. Unglaublich. Und heute kaufe ich ganze Sammlungen mit mehr als tausend. Tausend Stück auf einmal!“ Über die Jahre habe er dabei auch Talent entwickelt. Zu den Läden führen lässt er sich von seiner „Vinyl District“-App. In Wien hat er bei Teuchtler zuletzt ein Album von Velvet-Underground-Sängerin Nico gefunden. Aktuell sucht er für einen Freund „Sam Cooke live at the Copa“. „Das muss ich finden. Vielleicht finde ich es hier.“

ZUR PERSON

Boz Boorer wurde 1962 in Middlesex geboren. Er ist Gründer der Rockabilly-Gruppe The Polecats und Gitarrist und Musikdirektor von Morrissey, mit dem er gerade an einem neuen Album arbeitet. Daneben spielt er u. a. Saxofon, Klarinette, Kontrabass, Schlagzeug und ein bisschen Oboe. Er lebt in London, wo er ein Plattengeschäft betreibt, und in Portugal. Auf dem Wiener Label Fabrique Records erschien zuletzt „The Age of Boom“. Die Instrumente spielt er selbst, als Gastsänger ist u. a. Eddie Argos dabei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2017)

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