Pop

Der Austropop und das (schreckliche) Reich der Kindheit

Michael Marco Fitzthum, der Mann, der seine Band und sich selbst Wanda genannt hat, ist 1987 geboren.
Michael Marco Fitzthum, der Mann, der seine Band und sich selbst Wanda genannt hat, ist 1987 geboren.(c) APA/HANS PUNZ
  • Drucken

Wanda beschwören auf "Niente" Geister, die einst schon Ambros rief, neu. Zu den bemerkenswerten Texten der Wiener Band.

„Die Kindheit ist ein schreckliches Reich. Die Hände, die dich streicheln, schlagen dich. Der Mund, der dich tröstet, brüllt dich an. Die Arme, die dich hochheben, erdrücken dich.“ So beginnt ein Gedicht Peter Turrinis aus dem Jahr 1980. Im selben Jahr sang Wolfgang Ambros in „Gezeichnet fürs Leben“: „A Tram, a besa Tram – i steh allan, mei Vota haut mi tot, und mei Mutta want, und i bin in Not . . .“ Wer je ein gebanntes Publikum in einer vollen Konzerthalle dieses Lied mitflüstern, mitsingen, mitschreien gehört hat, weiß, wie sehr seelische Wunden der Kindheit den alten Austropop geprägt haben.

Michael Marco Fitzthum, der Mann, der seine Band und sich selbst Wanda genannt hat, ist 1987 geboren – in eine Zeit, in der die handgreiflichsten Schrecken der Kindheit auch in Österreich weitgehend überwunden waren. Und es ist auch nicht von Ohrfeigen die Rede auf dem dritten Album der Band. Schon gar nicht von niederösterreichischen Kellern. Aber in gleich zwei Songs von der „traurig schönen Kindheit in 0043“, im ersten heißt es: „Wenn da zwei Häuser sind, sperre ich das ältere auf, das, wo wir Kinder sind.“

Das Haus der Kindheit: Die deutsche Erzählerin Marie Luise Kaschnitz hat 1956 eine Autobiografie so genannt, in der sie – nach langen Beschwörungen des vermeintlichen Paradieses – ruft: „So kann es nicht gewesen sein. So nicht.“ Solches Entsetzen bringt der Rückblick bei Wanda nicht. Nur das Gefühl von Seltsamkeit. „Wir haben uns lang nicht mehr gesehen“, singt Fitzthum, „es zählt nichts, wenn wir vor dem Kreisky stehen, ein wenig seltsam Hand in Hand.“ Kreisky steht hier für ein Jugendlokal im siebten Bezirk, es schwingt natürlich die – für den Wanda-Sänger nur sekundär erfahrene – Erinnerung an den großen Bundeskanzler mit, nach dem es wohl halbironisch benannt ist.

Das Motiv des erinnerten Hauses kommt auch im letzten Lied vor, das ganz dramatisch „Ich sterbe“ heißt und in die Vision mündet, dass „mein Herz aus Marzipan“ verbrennt. „Weißt du noch, wo wir zusammen waren“, beginnt es, „alle Häuser haben was Weißes an, alle schauen einsam aus.“

„Coney Island ist viel wärmer“

Kurt Robitschek, 1890 in Prag geborener jüdischer Schriftsteller, Texter der Lieder „Im Prater blüh'n wieder die Bäume“ und „Die Stadt meiner Träume“, emigrierte 1936 aus Wien nach New York. Dort schrieb er ein „letztes Wienerlied“, das für Hermann Leopoldi gedacht war, diesen aber nie erreichte. Wanda haben es vertont, es spricht für das G'spür dieser Band, dass sie zu all den Liedern über Reiche der Kindheit auch dieses fügen. „Einmal möchte ich noch im Prater fahren mit der Grottenbahn“, heißt es darin. Und schließlich, in bitterer Brechung: „Gott, wie deppert seid ihr Wiener. Coney Island ist viel wärmer.“ Auch hier also die direkte Anrufung von Orten der Vergangenheit. Wie im besonders intensiven Wanda-Lied „Schottenring“, in dem Fitzthum schwärmt: „Einen Fetzen Kindheit mit geschlossenen Augen sehen, oh wie schön, oh wie schön.“ Mit der schönen Erinnerung schwindet dann auch die schöne Jahreszeit: „Sommer wird vorbei sein bald, es wird wieder früher kalt.“

Nur folgerichtig, dass in einem weiteren Song des Albums, das – wohl in Erinnerung an einstige Familienurlaube – „Niente“ heißt, das „Ende der Kindheit“ ausgerufen wird, mit einer verblüffenden Definition: „Förmlichkeit ist das Ende der Kindheit.“

Gewiss, man kann über die Renitenz lächeln, mit der dieser Sänger jeden Zwielaut monophtongisiert und jedes „e“ weit aufreißt, man kann der Band attestieren, dass sie musikalisch nicht viel mehr ist als eine modernisierte „No. 1 from Wienerwald“ (so hieß die Ambros-Band) – wobei: Ist das nicht eigentlich ein Kompliment? Aber man sollte Fitzhums Genie achten, mit dem er alte Gespenster des Austropop neu beschwört.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.