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Taylor Swift: Die schöne Weiße und ihre Feinde

Kommerziell und doch komplex: Niemand schwärmt im heutigen Pop so schön wie Taylor Swift.
Kommerziell und doch komplex: Niemand schwärmt im heutigen Pop so schön wie Taylor Swift. (c) Universal
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US-Superstar Taylor Swift hat ihre Hitformel um Rap und European Dance Music erweitert. Auf ihrem sechsten Album, „Reputation“, lobt sie die Liebe im Zeitalter des Internets.

Bei der MTV-Verleihungszeremonie 2009 geschah etwas Ungeheuerliches. Der psychisch labile Rapper Kanye West stürmte bei der Preisverleihung die Bühne, riss der Gewinnerin das Mikrofon aus der Hand und lamentierte darüber, dass der Preis nicht an die Afroamerikanerin Beyoncé ging, die ihn viel mehr verdient hätte als Taylor Swift, die sich gerade vom spießigen, die weiße Vorherrschaft zelebrierenden Country abgewandt hatte, um in die Mitte des kommerziellen Pop zu tanzen. Swift war zu baff, um spontan darauf zu reagieren. Das hatte Folgen. Ihr Image hat seither einen Makel. Sie ist das blütenweiße Gesicht, das die permanente Benachteiligung der schwarzen Künstler Amerikas repräsentiert.

Das waren vor ihr schon so honorige Sänger wie Frank Sinatra, der beinah leichtfüßig die düsteren Lieder einer Billie Holiday sang, und Elvis Presley, der mit verwässerten Versionen von Rock'n'Roll-Songs von Afroamerikanern wie Otis Blackwell die Hitparaden stürmte. Swifts künstlerische Schritte werden seither nicht nur von Afroamerikanern mit Argusaugen verfolgt. Manche sehen in ihr gar das Poster Girl der White-Supremacy-Bewegung. Dass sie jetzt Rap in ihre Ausdruckspalette aufnahm, wirkt jedenfalls wie eine späte Rache an Kanye West.

Angefeindet wird sie aber auch von Political-Correctness-Fanatikern. Eine Journalistin unterstellte Swift, dass sie mit „Look What You Made Me Do“ gängige Argumentationsmuster Rechter popularisiert. Dabei ist dieses Lied schlicht ein rumpelnder Rachesong. Verwerflich? Keineswegs.
An derlei Missinterpretationen mag sich Swift nicht gewöhnen. Um sich zu erklären, hat sie für ihr gerade erschienenes, sechstes Album, „Reputation“, auf sämtliche Interviews verzichtet. Sie wählte dafür das Mittel der Präambel. Ein Geleittext offenbart den Status ihres aktuellen Denkens. Ein wenig schwülstig lobt sie darin die Komplexität der menschlichen Persönlichkeit, mit der es nicht einmal die Vielzahl an aufpoppenden elektronischen Medien aufnehmen könne.

Ihre Leser spricht Swift als Komplizen an. „Ultimately we post photos online to curate what strangers think of us. But then we wake up, look in the mirror at our faces and see the cracks and scars and blemishes.“ Dann verliert sie sich in schönsten Relativismus. „Humans are intrinsically impossible to simplify. We are mosaics of our worst selves and our best selves.“ Richtig rührend wird es im letzten Absatz, wo sie sich schon im Vorhinein über die Auslegung ihrer Texte beschwert. „as if the inspiration for music is as simple and basic as a paternity test . . .“

Kommerziell, aber doch recht komplex sind ihre 15 neuen Lieder. Immer wieder kontrastiert sie düstere Sounds mit fröhlichem Geblubber, mischt süße Melodie mit hässlichem Geräusch. Ambivalente Gefühle müssen schließlich möglichst gut illustriert werden. So, wenn das 1,80 Meter große Prachtweib von gefährlichen Männern angelockt wird. „Knew he was a killer first time I saw him. Wondered how many girls he had loved and left haunted.“ Jetzt wird sie zur lockenden Sirene. „Baby let the games begin . . . Are you ready for it?“ Überraschend presst sich hier noch ein Country-Twang ins elektronische Prasseln.

Twitter-Fehden mit Ex-Liebhabern

Für den R & B-Schleicher „End Game“ holte sie sich zwei Kollegen ins Studio, den britischen Rotschopf Ed Sheeran, auf den Swift immerhin sieben Zentimeter hinunterschaut, und den afroamerikanischen Rapper Future. Gemeinsam ersehnt man in sportlichen Metaphern die innerweltliche Erlösung, die die Liebe schenkt. „I wanna be your end game, I wanna be your A team.“ Als Partner kommen nur solche infrage, die auf Augenhöhe sind. „Big reputation, ooh you and me we got.“ Mit dem Ruhm wächst das Heer an Feinden, das es im Zaum zu halten gilt. „Ooh, I got some big enemies“, lamentiert sie.

Daran ist sie nicht ganz unschuldig. Unvergessen sind ihre auf Twitter zelebrierten Fehden mit Katy Perry und Nicki Minaj, immer noch im Gedächtnis die bitteren Worte, die sie Ex-Liebhabern wie dem Popstar John Mayer und dem Schauspieler Jake Gyllenhaal nachwarf. Und doch schwärmt im heutigen Pop niemand so schön wie Swift. „Only bought this dress so you could take it off“, heißt es in „Dress“. Mit „I'll carve your name on my bedpost“ lockt sie sogar ins personalisierte Lotterbett. Wen dürstet angesichts solcher charmanter Anzüglichkeiten noch nach politischen Statements?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2017)

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