Konzertbericht

Marilyn Manson: Müder Dunkelgraf in Wien

Marilyn Manson während seines Wien-Auftritts am Montagabend im Gasometer.
Marilyn Manson während seines Wien-Auftritts am Montagabend im Gasometer. Herbert Pfarrhofer
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Er saß im Rollstuhl-Thron: Gruselrocker Marilyn Manson war im Gasometer – und spielte auch einen Song des jüngst gestorbenen Sektenführers Charles Manson.

Not macht erfinderisch – besonders, wenn man Rockstar ist. Ende September wurde Brian Warner vulgo Marilyn Manson bei einem Auftritt in New York von herabstürzender Konzertdekoration außer Gefecht gesetzt. Viele rechneten mit einer Absage der Tour. Doch Warner ließ sich nicht beirren. Schon einen Monat später stand er wieder auf der Bühne.

Genauer gesagt: Er saß. Ein gotischer Rollstuhl-Thron mit Joystick-Lenkung und pneumatischem Sitzheber soll die durch einen Beinbruch stark eingeschränkte Bewegungsfreiheit des Gruselprinzen kompensieren. Sein Humor – und die inhärente Theatralik seiner Liveshows – kommen ihm dabei zugute. Zu Beginn des montäglichen Gastspiels im Gasometer entschuldigte er sich augenzwinkernd beim Wiener Publikum: „Sorry Vienna, I'm a bit broken – but I am not breakable.“

Man ist geneigt, ihn beim Wort zu nehmen. Nicht nur der Unfall machte ihm jüngst zu schaffen. Im Juli starb sein Vater, Ende Oktober wurde sein Bassist und langjähriger künstlerischer Wegbegleiter Jeordie White mit einem Vergewaltigungsvorwurf konfrontiert und darauf aus der Band geworfen. Dazu kommt, dass Marilyn Mansons Blütezeit als Schockrocker und Bürgerschreck hinter ihm liegt. Einst war er der Alptraum des konservativen Amerikas, stand als „Antichrist Superstar“ (so hieß 1996 sein zweites Album) im Mittelpunkt der Zensurdebatte. Seine kraftvolle, aggro-pathetische Musik traf in den Neunzigern ins Herz einer unzufriedenen Mittelschichts-Jugend. Dabei ging es nicht um die Renitenz von Rotzbengeln, die sich weigerten, um zehn ins Bett zu gehen, wie bei Warners Vorbild Alice Cooper – sondern um die tief gefühlte Wut tausender Teenager, die sich von der ganzen Welt verraten fühlten.

Im Zusammenhang mit dem Columbine-Schulmassaker verbreitete sich 1999 das Gerücht, die Todesschützen seien Manson-Fans gewesen – eine Verleumdung, die fast seine Karriere zerstört hätte, wie Warner in Interviews behauptet. Mag sein: Nach einem letzten Großerfolg mit dem Konzeptalbum „Holy Wood“ nahm seine mediale Relevanz jedenfalls stark ab. Vom unheimlichen Monstermann mutierte er zum dekadenten Dandy aus der Gruft – und geisterte dank Affären und Alkoholexzessen vor allem durch die Klatschpresse. Erst 2015 gelang ihm mit „Pale Emperor“ eine Art Comeback. Auch sein jüngstes Werk, „Heaven Upside Down“, schaffte es Kraft einer Handvoll Skandälchen (und Musikvideoauftritte von Mansons Kumpel Johnny Depp) ins Rampenlicht.

Den Frust von der schwarzen Seele schreien

Der selbsternannte Antichrist-Superstar ist also wieder da. Entsprechend gestaltete sich auch der Gasometer-Auftritt als große Lazarus-Show. Unterstützt von Roadies mit Arztkittel und Mundschutz wurde Manson zunächst eine Beinschiene angelegt, damit er sich vom Thron erheben konnte, später räkelte er sich singend auf einem fahrbaren Krankenbett. Zumindest eine Stunde lang war die geschwächte Konstitution des blassen Imperators, trotz einiger Kostümwechsel-Pausen, eher sicht- als spürbar. Drapiert in Lederkluft und Federschmuck, staksend durch Kunstnebelschwaden und blutrotes Bühnenlicht, schrie er sich, begleitet von lautstarkem Hardrock-Gewummer, den Frust von der schwarzen Seele. Die unheiligen Slogans neuerer Songs wie „Deep Six“ und „Say10“ sind zwar weder schockierend noch originell, aber für Sprechchöre eignen sie sich immer noch gut: „You say God, I say Satan – say, say, Satan!“

Von Bibelverbrennungen und ähnlichen Hui-Buh-Spompanadeln sieht Manson inzwischen ab – ein jüngerer Mini-Shitstorm wegen eines MG-förmigen Mikrofons schien eher unbeabsichtigt. Eine kleine Provokation erlaubte er sich in Wien trotzdem, mit der Verbeugung vor einer Inspirationsquelle: dem Sektenführer, Horrorhippie und Songwriter Charles Manson, dem Brian Warners Kunstfigur ihren Nachnamen verdankt. Seinen Tod am 19. November („I won't say if that's good or bad“) nahm Bühnen-Manson zum Anlass für ein makabres Cover und intonierte zusammen mit Gitarrist Tyler Bates, passend zur Kranken-Motivik des Abends, den kurzen Stadtverweigerer-Song „Sick City“ aus der Feder des Kriminellen. Mitgesungen haben die wenigsten – wohl weniger wegen Skrupeln als wegen mangelnder Bekanntheit: In den Charts war die Nummer schließlich nie. Ganz im Gegenteil zur Marilyn-Manson-Version des Eurythmics-Hit „Sweet Dreams“. Sie schickte Ekstase- und Nostalgiewellen durch das aufgewärmte, altersmäßig überraschend durchmischte Publikum. Die Energien des 48-jährigen Brian Warner schienen indessen schon merklich verbraucht, er klammerte sich an den Mikro-Ständer wie an einen Krückstock. Nach knappen 90 Minuten verschwand der Dunkelgraf wieder im Finstern. Müde ist er, keine Frage. Aber noch nicht am Ende.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2017)

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