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Tocotronic: Panik vor dem großen Ruhm

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Tocotronic(c) APA (ANDREAS KREUZHUBER)
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Tocotronic, Deutschlands gescheiteste Diskursrockband, beschäftigt sich in "Schall&Wahn" kritisch mit Neoliberalismus, Liebe, Kunst und Terror. Ein Gespräch mit Mastermind Dirk von Lowtzow.

In Bohumil Hrabals Roman „Allzu laute Einsamkeit“ verbringt der Protagonist seine Tage mit dem Zerstören von Büchern in einer Altpapierverarbeitung. Bevor er die verbotenen Schriftwerke in die alles zermalmende Presse wirft, pickt er sich noch die eine oder andere schöne Sentenz heraus: „Daran lutsche ich dann wie an einem Bonbon, daran schlürfe ich wie an einem Gläschen Likör, bis der Gedanke in mich übergeht wie Alkohol...“

Mit diesem Zitat konfrontiert, lacht Tocotronic-Mastermind Dirk von Lowtzow hell auf: „Das ist ein Aneignungsgestus, mit dem ich etwas anfangen kann.“ Vielleicht ist es auch eine Möglichkeit, mit den erstaunlich vagen Texten der Band umzugehen. Die Uneindeutigkeit seiner Texte weist Lowtzow im Gespräch mit der „Presse“ barsch von sich. Dennoch verteidigte er den Primat des Sprachklangs: „Ich bin grundsätzlich Anhänger eines Satzes des Regisseurs Robert Bresson, der gesagt hat: ,Ich bin äußerst penibel in der Form und sehr schlampig im Inhalt.‘ Das ist etwas, das mich grundsätzlich reizt. Ich finde Lyrik für Rockmusik sollte immer phonetisch gut funktionieren. Die liest ja niemand, die ist zum Hören.“ Die zwölf neuen Songs sind erwartungsgemäß randvoll mit klugen Sentenzen und griffigen Parolen.

Im Zweifelgegen Zweisamkeit. Besonders geglückt ist das in der streicherumflorten Ballade „Im Zweifel für den Zweifel“, in der gegen Selbstzufriedenheit gewettert wird. Lowtzow erklärt: „Ich finde, dass Selbstbewusstsein in der Kunst etwas Verabscheuungswürdiges ist.“ Im selben Song werden die Gefahren der Liebe aufgezeigt. Mit weicher Stimme werden harte Wahrheiten intoniert: „Im Zweifel gegen Zweisamkeit und Normativität“, heißt es darin.

Auch andere Lieder, etwa „Eure Liebe tötet mich“, „Gift“ und „Das Blut an meinen Händen“ thematisieren die Liebe: „Ich fand es interessant, die Konventionen, die ein Liebeslied vorgibt, so weit auszudehnen, dass daraus durchaus etwas Monströses, Gefährliches wird. Das Stück ,Eure Liebe tötet mich‘ beschwört die zerstörerische, die domestizierende Kraft der Liebe. Als Subjekt wird man in unserer Gesellschaft viel stärker durch Liebe und Zuneigung kontrolliert als durch staatliche Regeln.“

Tocotronic hinterfragen auch selbst aufgestellte Regeln. Sie lieben es zu verneinen, was ihnen eben noch heilig war. Dieser Cleverness verdanken sie ihre anhaltende Frische. Sie waren bereits in ihren Hamburger Anfangstagen die geistig mobilste Band derer, die man– etwa „Blumfeld“ und „Die Sterne“ – unter dem Begriff „Diskursrock“ zusammenfasste. Niemand war lässiger, kontroversieller, souveräner im Spiel mit den Zeichen. Tocotronic machten immer schon höchst geschmackvoll Anleihen bei anderen Künsten. Im Film, in der Literatur, in der Bildenden Kunst. „Schall & Wahn“, den Titel ihres aktuellen Albums, entliehen sie sich vom US-Schriftsteller William Faulkner.

Dirk von Lowtzow: „Ich finde den Roman ganz toll, bin ein großer Fan davon. Das Album und das Stück haben damit aber nichts zu tun. Ich liebe die Idee der Aneignung. Pop hat ja grundsätzlich etwas sehr Zitathaftes.“ Dem Terminus „Diskursrock“ kann er immer noch etwas abgewinnen: „Das war so eine Zuschreibung wie ,Hamburger Schule‘. Beide Begriffe haben ihre Schuldigkeit getan. Diskursrock war der etwas geglücktere, weil er erklärt, dass die Bands, die unter diesem Begriff gelaufen sind, sich gegenseitig zitiert und kritisiert haben. Es klingt halt wahnsinnig hochtrabend. Ich weiß nicht, ob solche Begriffe heute noch jemand braucht. Man hat uns ein wenig ins intellektuelle Ghetto gedrängt. Dabei konnte man zu unserer Musik immer gut tanzen und sogar toll knutschen.“

Und doch gibt man sich auf dem teilweise brachial tönenden „Schall & Wahn“ nicht nur musikalisch kämpferisch. In „Die Folter endet nie“ wird eine Lanze für den Widerstand gebrochen. Wogegen soll sich dieser richten? „Ich denke, es gibt auch heute politische Feindbilder. Sie sind nur nicht so einfach lokalisierbar wie früher. Aber gegen den Neoliberalismus kann man ganz schön widerständig sein. Dass man permanent und überall erreichbar sein soll, sich möglichst flexibel, mit Haut und Haaren in jedweden Verwertungszusammenhang bringen soll, dagegen muss man sein. Auch die Ideologie der permanenten Authentizität, dass man sein soll, wer man ist, lohnt es zu bekämpfen. Dabei muss man sich aber immer der eigenen Beschädigung bewusst sein. Sonst besteht die Gefahr, dass man in eine verkürzte und damit oft auch opportunistische Kapitalismuskritik verfällt.“

Diese Art von subversiver Glut leitete Tocotronic schon zu vielen großen Alben. In ihrer leidenschaftlichen Unzufriedenheit lehnen sie aber den Begriff des Meisterwerks ab. Das flotte „Keine Meisterwerke“ beschwört die ewige Schönheit des Fragmentarischen. Von Lowtzow zu dieser Gefahr: „Wenn man attestiert bekommt, ein Meisterwerk geschaffen zu haben, birgt das die Gefahr des Stillstands, der Musealisierung und der Vereinnahmung. Davor haben wir panische Angst. Das hat fast etwas Neurotisches. Die Idee der Abschaffung des Meisterwerks ist eine widerständige Geste gegenüber dieser Form der Schubladisierung. Außerdem ist dieser Song eine richtige Liebeserklärung an den amerikanischen Filmemacher und Performancekünstler Jack Smith. Der hat dieses ,Keine Meisterwerke!‘ schon in den Sechzigerjahren zu seinem Schlachtruf auserkoren.“

Der Nobelpreis? Pah! Dies bedenkend, präferiert Dirk von Lowtzow auch Neil Young gegenüber Bob Dylan. „Ich bin kein Freund dieser Idee eines Singer-/Songwritingtums. Dylans Gestus, und wie er sich als Autor in Szene setzt, ist viel zu selbstherrlich. Das ist mir alles zu großschriftstellermäßig. Nobelpreis und so, pah! In der Rezeption hat sich da große Denkfaulheit eingestellt. Es wird immer behauptet, alles bei ihm wäre so kryptisch. Das finde ich gar nicht. Für mich sind die offensive Naivität und die Doofheit der Texte von Neil Young viel anziehender als Bob Dylans Werk. Young rührt mich zutiefst an.“

Und dann ist da noch der Humor, der bei Tocotronic gern übersehen wird. Geprägt hat ihn ein Österreicher, Thomas Bernhard. „Er hat so etwas Punkiges, Nihilistisches. Sein Humor passt gut zu aggressiver Musik. Ich finde ihn unfassbar witzig. Der Humor, den wir als Band pflegen, hat ganz stark mit ihm zu tun. Diese Art von Radikalisierung, Zuspitzung und Übertreibung hat uns von Anfang an total fasziniert.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2010)

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