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Kevin Coyne: Ein Punk, bevor man Punk kannte

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Kevin Coyne war einer der originellsten Singer/Songwriter Großbritanniens. Fünf Jahre nach seinem Tod erinnert eine 4-CD-Box an seine produktivste Phase.

Man nannte ihn Großbritanniens Bob Dylan. Zu seinen Fans zählen John Lydon vulgo Johnny Rotten, Bonnie Prince Billy und Sting. Er war schon Punk, als noch niemand in der Welt des Pop diesen Begriff kannte, aber schon einige das reinigende Gewitter herbeisehnten, das die egomanischen Rockstars bald durcheinanderwirbeln sollte. Malcolm McLaren gestand Kevin Coyne einmal, wie sehr die Sex Pistols von Coynes wüster Art zu musizieren beeinflusst wurden. Vergleicht man Coynes „River of Sin“ mit dem Sex-Pistols-Song „Anarchy in The U.K.“, leuchtet die geistige Verwandtschaft ein.

Ein dauerhaft vom Starprinzip angewiderter Musikaktivist war der BBC-Journalist John Peel (1939 bis 2004, der das feine Label Dandelion betrieb. 1969 veröffentlichte er Kevin Coynes erstes Album. Damals war der charismatische Liedermacher noch Teil der bluesorientierten Band Siren, machte aber schon in Songs wie „And I Wonder“ und „Some Dark Day“ klar, dass sein lyrischer Impetus den Blues, der so oft das Idyll im Elend sucht, übersteigt. In seinem letzten Gespräch mit der „Presse“ erläuterte er die Ursachen für sein düsteres Weltbild: „Ich machte zunächst Kunsttherapie am psychiatrischen Hospital in Whittingham. Später arbeitete ich als Sozialarbeiter mit Junkies in Soho. Diese beiden Erfahrungen lehrten mich, dass die Welt kein fairer Ort ist.“

Die Lebenswelten der Erfolgreichen waren ihm langweilig. Als Künstler konzentrierte Kevin Coyne sich vollends auf die Außenseiter der Gesellschaft. In seinen rauen, aber stets erstaunlich melodiösen Liedern fanden sie alle Asyl: die dicken Mädchen, die gehänselten Schulbuben, verwirrte Pensionäre, ja sogar depressive Hilfspolizisten. Coynes Songs, aber auch seine amüsanten Kurzgeschichten versuchten Menschen jene Würde zurückzugeben, die ihnen das wirkliche Leben geraubt hatte.

Virgin-Boss Richard Branson liebte ihn

Über einige, aber längst nicht alle Jahre der künstlerischen Blüte Kevin Coynes reicht nun die von seinem Sohn Eugene zusammengestellte 4-CD-Box „I Want My Crown – The Anthology 1973–1980“. Trotz des Fehlens von epochalen Coyne-Songs wie „No Romance“, „Are We Dreaming?“, „Wanting You Is Not Easy“ und „Tulip“ ist das Erscheinen dieser Kompilation, fünf Jahre nach Coynes frühem Tod, Anlass zur Freude. Klassiker seines Repertoires, etwa „Having A Party“ und „Are You Deceiving Me?“, sind endlich auch auf CD in toller Tonqualität zu genießen. Zudem gibt es jede Menge Raritäten für Coynes treue Fans. Da locken vibrierende Liveaufnahmen von Konzerten aus dem Jahr 1974. Wenig beachtete, aber superbe Singles wie „Lovesick Fool“ und „Lorna“ sind erstmals auf CD feil. Abgerundet wird die Auswahl durch Auszüge aus John-Peel-Shows und Coyne-Musicals wie „London London“ und „Babble“. Das Gros der Songs stammt aber aus genialen Alben wie „Blame It On The Night“, „Millionaires & Teddybears“ und „Dynamite Daze“, allesamt erschienen auf Richard Bransons Label Virgin. Coyne war der zweite Künstler nach Mike Oldfield, den Branson verpflichten konnte. Kurioserweise hatte der Selfmade-Millionär eine durchaus innige Beziehung zu Coynes sozialkritischen Songs. Zu seinem Biografen Mick Brown meinte er einmal: „You know the one I really loved? Kevin Coyne. He was amazing.“

Wiewohl genährt durch jahrelanges Hören von frühem Rock'n'Roll, Doo Wop und Blues, hatte Coyne von Beginn an einen völlig eigenständigen Sound. Wie wertvoll das war, wusste der strubbelige Barde: „Diese Unverwechselbarkeit ist vielleicht das Höchste, das ich erreicht habe. Inspirieren tut mich vieles. Kunst oder auch ein Vorfall im Supermarkt. Aber ich laufe nicht mit dem Notizbuch herum. Man vergisst so viel, aber das Wesentliche fällt einem später wieder ein.“

„Wäre wohl Massenmörder geworden“

Dass er dennoch oft mit anderen verglichen wurde, ärgerte ihn. „Das fing an, nachdem ich „Marjory Razorblade“ rausgebracht hatte“, erklärte Coyne: „Dabei halte ich Leute wie Neil Young oder Van Morrison für intellektuell tot. Die spielen brav mit in dem, was man Rockzirkus nennt. Bands wie die Mekons, die Sex Pistols oder die Ruts fand ich später viel aufregender.“

Wie diese scherte er sich wenig um Fehler. Verspielte er sich bei Plattenaufnahmen, so ließ er, unbeeindruckt vom Perfektionswahn jener Jahre, alles so, wie es aus ihm herausgebrochen war. Seine Lieder waren Triebabfuhr und Trost für ihn. Wenn er zart „The world is full of fools, but it doesn't make me a bad person“ sang, dann bargen diese Zeilen für ihn selbst mindestens so viel Trost wie für die Zuhörer. Coyne wusste um den Selbstheilfaktor des Musizierens: „Lieder zu schreiben ist ein bisserl eine technische Übung, vor allem aber eine Form der Selbsttherapie. Auch wenn ich nicht in die Liga der Stars vordringen wollte, so war es mir doch wichtig, mir einen Namen zu machen.“ Und, schmunzelnd: „Hätte ich nicht kreative Wege eingeschlagen, wäre ich wohl zum Massenmörder geworden.“

BIOGRAFIE: KEVIN COYNE

Geboren 1944 in Derby, England. Studium an der Joseph Wright School of Art und am Derby College of Art. Dann einige Jahre Sozialarbeiter.

1966 erste Aufnahmen mit der Band Siren für John Peels Label Dandelion. Bei Coynes Band spielten u.a. Zoot Money und Andy Summers (später bei Police). 1971 lehnte Coyne das Angebot ab, neuer Sänger bei den Doors zu werden – Begründung: Er wolle keine Lederhosen tragen.

Ab 1985 lebte er in Franken. 1992 erhielt er den Preis der „Stadt Nürnberg für Kunst und Wissenschaft“. Er litt seit Langem an Lungenfibrose. Trotzdem kam sein Tod am 12.12.2004 überraschend.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2010)

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