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Ezra Collective: Die britische Jazzinvasion in Wien

(c) Ezra Collective/Facebook
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Eine Speerspitze der Jazzrenaissance, das Ezra Collective, begeisterte bei seinem Österreich-Debüt.

Die Wiederauferstehung des Musikmagazins „Straight No Chaser“ im opulenten Printformat zählt zu den schönen Symptomen für das neue Brodeln in der Londoner Jazzszene. In den wilden Spätachtzigern hoben Paul Bradshaw und sein kongenialer Partner Swifty ein Jazzmagazin aus der Taufe, das die Trends vorgab. Geirrt hat man sich selten. Irgendwann zerbröselte die Szene und das feine „Straight No Chaser“ erschien nur mehr digital. Jetzt gibt es das schmucke Magazin wieder. Es erscheint nur einmal jährlich, dafür aber mit schwindelerregender Seitenanzahl.

Basis für diese Rückkehr zu Print ist eine hochlebendige Szene, die bereits UK-Jazz-Invasion genannt wird – in Anlehnung an die berühmte Blues-Invasion der frühen Sechzigerjahre, als die Rolling Stones, die Yardbirds und andere Briten den Amerikanern deren eigene Musik, den Blues, neuer, schärfer zurückverkauften. Acts wie Yussef Dayes, Kamaal Williams, Shabaka Hutchings und Tenderlonious sind junge Kapazitäten, denen man dies zutraut. Und natürlich auch das Ezra Collective, ein Quintett, das, für London typisch, aus Musikern unterschiedlichster Herkunft und Interessenlagen besteht.

Sie meiden die Jazztempel

Einig ist man sich einzig darin, dass stilistischer Eklektizismus und unbedingte Tanzbarkeit Basis der Musik sein müssen. Vor sechs Jahren als Schulband gegründet, ging die Gruppe nun erstmals auf Europatournee. Sie bespielte dabei durchaus bewusst nicht die angesagten Jazztempel, sondern votierte für allerlei alternative Tschumsn. In Wien bekam das wieder auferstandene Gürtellokal B72 den Zuschlag. Es war auf zwei Etagen gefüllt mit größtenteils 20-Jährigen, die zwar entsetzlich gekleidet, aber um so besserer Stimmung waren. Schnauzbärte in Kindergesichtern, Hawaiihemden, Tlapa-Sakkos – auch visuell war es eine Art Wiederkehr der Achtzigerjahre. Auch die Musik war stilistisch nichts Neues - doch in seiner Mischung aus Dancefloor-Jazz, Funk und Afrobeat um so delikater.

Schlagzeuger Femi Koleoso, der offensichtliche Leader, beherrscht mit seinen Sticks auch elektronische Rhythmen, jene des Drum'n'Bass. „The Philosopher“, das Eröffnungsstück, bot aber auch herrlich verstiegene E-Piano-Soli, zackige Bläsersätzen à la Fela Kuti. Kein Wunder, dass BBC-Radiomann Gilles Peterson, der seine Karriere zu Beginn der Acid-Jazz-Ära Ende der 80er-Jahre hatte, von der Band schwer begeistert ist. Jugend ist auch im Jazz eine besondere Qualität. Ezra Collective sehen sich aber auf den Schultern der Altvorderen. Koleoso sprach ehrfürchtig von Sun Ra, lobte dessen Credo „Be kind!“Dann stimmte das Quintett dessen Klassiker „Space Is The Place“ an. Den Gesang ließ man bleiben, dafür erfreute die Rasanz, mit der das alte Stück ins Hier und Jetzt gehoben wurde. Am Ende hüpften die Fans wild wie auf einem Techno-Dancefloor. Jazz ist wieder hip.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2018)

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