Pop

Projekt Luftklavier: Mach dir den Sound selbst!

(c) FABRY Clemens
  • Drucken

Schüler haben gemeinsam mit Wissenschaftlern ein Luftklavier kreiert, auf dem man per Spielkonsolentechnologie klimpern kann. Das Ziel des Projekts war, Jugendliche für Naturwissenschaft und Technik zu begeistern.

Musik verbindet. Als universelle und emotionale Währung unserer schnelllebigen und „schematisierten“ Welt führt sie Menschen zusammen und hebt dabei ethnische, soziokulturelle und geschlechtliche Grenzen auf. Für die Jugend ist sie immer schon ein Ausdruck für Unabhängigkeit, ein Sprachrohr für Ungesagtes, und etwa durch MySpace, iPod und Handy ist sie leichter und schneller zugänglich geworden. Daher überlegten Grazer Forscher am Interdisziplinären Forschungszentrum (IFZ) kurzerhand, Musik auch als Vehikel für einen partizipativen Ansatz zur Technikgestaltung zu verwenden.

„Immer weniger Jugendliche interessieren und inskribieren sich für technische Fächer, obwohl Technik im Leben vieler Kids eine zentrale Rolle spielt“, erklärt die Projektleiterin Anita Thaler und meint damit Gadgets wie Handy, Internet und Computer. Den Forschern kam schließlich die Idee, den Konnex von Musik und Technik zu nutzen, um Jugendliche für naturwissenschaftliche und technische Berufe zu begeistern. „Man muss sich nur ,Deutschland sucht den Superstar‘, ,Starmania‘ oder das Nintendo Musikspiel ,Guitar Hero‘ ansehen: Das Interesse, vor allem an der aktiven Produktion von Musik, ist da!“ Das Ziel der Wissenschaftler war daher, ein didaktisches Konzept zu entwickeln, das Jugendlichen ohne praktische Musikkenntnisse einen Zugang zur Musikproduktion ermöglicht.

Dabei sollen die am Projekt beteiligten Lehrenden nur als beratende Didaktikexperten fungieren: „Die Experten und Entwickler waren in diesem Fall Schülerinnen und Schüler einer vierten Klasse Oberstufe des Musikgymnasiums Dreihackengasse, mit denen wir sehr erfolgreich zusammenarbeiteten und in Folge daraus ein neues technisches Produkt auf den Markt bringen konnten“, verrät Thaler.


Das Projekt. Kaum stand der Plan, wurde das Projekt bei „Sparkling Science“ – einem Programm des Wissenschaftsministeriums zur Förderung der Kooperationen zwischen Wissenschaft und Schule – eingereicht und bewilligt. Dann begann die Phase eins des Projekts mit dem Namen „Engineer Your Sound“: „Wir machten mit den Jugendlichen eine Exkursion zum Grazer Institut für elektronische Musik (IEM), einem späteren Projektpartner, bei dem sie einen ersten Einblick in die Musiktechnologie bekamen“, sagt Thaler.

Hier erwartete den Jugendlichen ein musikalisches Erlebnis der etwas anderen Art: Im „Cube“, einem dunklen, fremd anmutenden Raum, verwandelt eine Technologie namens „gestisches Interface“ Körperbewegungen in Klänge. Infrarotkameras erfassen die am Körper angebrachten Reflektoren, und je nachdem, auf welcher virtuellen Achse man sich im Raum befindet, produziert man Musik. „Wenn auch sehr abstrakt und metaphorisch“, lächelt Thaler und sieht den „Cube“ mehr als dichterische Komposition denn als Musik.


Bewegung macht Töne. Dennoch zeigte sich diese Erfahrung als ein kreativer Motor für den folgenden Workshop. Ohne technische oder mediale Vorgaben warfen die Jugendlichen ihre Ideen in einen Topf und tauschten sich auch in der Freizeit in einem eigens für dieses Projekt eingerichteten Blog untereinander aus. Eine Idee davon, Musik in einer Luftblase zu machen, war zwar originell, konnte sich aber nicht gegen die Idee der Gruppe „Just Danube“ durchsetzen.

Drei Schülerinnen entwickelten hier zusammen mit der Toningenieurin Birgit Gasteiger – die für die technische Umsetzung verantwortlich war – ein sogenanntes „Luftinstrument“, welches in Verbindung mit der Technologie von „Nintendo Wii“ funktioniert. „Jeder von uns hat schon einmal Luftgitarre gespielt und dabei gedacht, wie es wohl klingen würde, wenn dabei echte Töne rauskämen“, sagt Thaler.

Aus Fantasie wurde Realität, aus der Luftgitarre ein Luftpiano: Auf einer Platine wird ein Feld mit Leuchtdioden angebracht, welches mit Strom gespeist wird. Die ausgesendeten Infrarotstrahlen werden von reflektierendem Material, das an den Fingern der Schüler befestigt ist, an eine Wii-Remote-Control in der Mitte der Platine zurückgeschickt, welche die Signale an das Computerprogramm „PureData“ weiterleitet. Der Ort der Reflexion – gleich wie beim Cube – wird mit den räumlichen Koordinaten aufgezeichnet und digital in verschiedene Segmente unterteilt; je nach Segment bzw. Position der Finger vor der Infrarotkamera erklingt dann ein Ton.


Steinway versus Luftklavier. „Die Wii-Technologie wird im Forschungsbereich recht widerständig verwendet. Man braucht keine riesige und teure Ausstattung, und wenn man sich kein teures Klavier leisten kann, wäre das zumindest eine praktische Option“, sagt auch Wilma Mert, Mitarbeiterin des IFZ. Irgendwann. Vielleicht. Denn das Luftklavier ist noch nicht auf dem Markt.

Seine Chancen stufen die Forscher bisher als eher gering ein. Denn so kreativ die Musik auf der einen Seite auch ist, so bleibt sie auf der anderen ein seriöses Geschäft. Aber kann – oder besser gesagt – darf man das Luftklavier überhaupt als haptisches, musisches, wirkliches Instrument bezeichnen? Thaler: „Das ist Musiktechnologie. Man kann hier auch im Schulalltag Dinge selbst bestimmen und kreativ sein, da in dieser Grauzone weder die Regeln der Technik noch die Regeln der Musik gelten.“

Den Jugendlichen scheint es zu gefallen: keine aufrechte Sitzhaltung, kein richtiges Sitzen am Klavierschemel mehr, und kein Musikprofessor rückt einem bei zu langen Fingernägeln mit Schere und Feile zu nahe. Stattdessen ist lässiges Herumlungern à la Tom Waits oder das Gehüpfe eines Jamie Cullum angesagt. Taktlos oder frei – das bleibt die Frage.

Sparkling Science ist ein Programm des Wissenschaftsministeriums (BMWF) zur Nachwuchsförderung: Seit 2007 wurden bereits 25.000 Schüler in Österreich damit erreicht. Der Mädchenanteil liegt bei 60 Prozent.

Schüler in der Wissenschaft. Durch die Einbindung von Schülern in Forschungsprojekte der Universitäten und anderer Einrichtungen soll der „Funke“ („Spark“) der Begeisterung für Wissenschaft überspringen. Das Programm ist auf zehn Jahre (bis 2017) angelegt, um die schrittweise Übernahme erfolgreicher Projekte in die Praxis möglich zu machen.

Beim dritten Call (2010) wurden bis April 144 Projektanträge eingereicht, die derzeit internationale Begutachtung durchlaufen. Das Ergebnis wird in den nächsten Wochen bekannt gegeben, sodass die nächsten „Sparkling Science“-Projekte mit dem Schuljahr 2010/2011 starten können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.