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Paul Simon und die Höllenpredigt

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Nein, Paul Simon ist nicht katholisch geworden. Aber er lässt auf seinem geglückten Album „So Beautiful Or So What“ auch einen Baptisten zu Wort kommen.

Deine neuen Songs klingen ja fast katholisch. Bist du nicht jüdisch?“ Das fragte ihn Paul McCartney jüngst nach einem Konzert. Und wahrlich, durch gut die Hälfte der neuen Lieder Paul Simons geistert ein Protagonist namens Gott. Was den Autor am meisten erstaunt: „Das war auf keinen Fall so geplant, schließlich bin ich kein religiöser Mensch“, versicherte er.

Immerhin sind zwei seiner neuen Lieder von kirchlichen Samples unterfüttert. „Love & Blessings“ bedient sich der überirdisch schönen Harmoniegesänge des Golden Gate Jubilee Quartet; auf dem rasanten Opener „Getting Ready For Christmas Day“ wird Simons zarter Gesang von der donnernden Predigerstimme von Reverend J. M. Gates konterkariert. Das war ein afroamerikanischer Baptist (gestorben 1945), dessen Predigten sich ausgezeichnet auf Schallplatten verkauften. Seine Spezialität war es, die Höllenqualen, die die Sünder nach dem Tod erwarten, besonders grell zu malen.

Auf einem fröhlichen Groove tänzelnd, erzählt „Getting Ready For Christmas Day“ vom deprimierenden Geldmangel von Working Class People, die trotz zweier Jobs kaum genug Mittel zum Überleben haben. „The music may be merry, but it's only temporary, I know Santa Claus is coming into town.“ Das mag harmlos klingen, aber es bezieht sich auf eine andere berühmte Predigt von Gates, in der er rief: „Will the coffin be your Santa Claus?“ Simon setzt sie in den Kontext des immer noch amerikanische Leichen produzierenden Irak-Kriegs.

So explizit politisch hat man ihn lange nicht gehört. In seiner Konzeption erinnert dieses Stück an „7 O'Clock News/Silent Night“ (1966) von Simon and Garfunkel, in dem „Stille Nacht“ von Radionachrichten kontrastiert wurde. Überhaupt hatten die pastoralen Idyllen dieses Duos oft zumindest indirekt sozialkritischen Touch. So begann „Sound Of Silence“ (1964), geschrieben nach dem Mord an John Kennedy, mit den Zeilen: „Hello darkness, my old friend, I've come to talk with you again.“ Schon damals war der kleine Songwriter ein Seismograf untergründiger gesellschaftlicher Stimmungen.

Bob Dylan rief nicht zurück

Paul Simon wurde 1941 geboren, im selben Jahr wie Bob Dylan, sein großer Antipode im US-Pop der Sechzigerjahre. Während Dylan alles, was ihm unterkam, das frisch Angelesene, das flüchtig Gehörte, das originell Gedachte, auf kühne, sperrige Art montierte, agierte Simon sublimer und musikaffiner. Seine Texte mussten sich nach der Musik strecken; und er deutete oft mehr an, als er aussprach. Über die Jahrzehnte haben sich die Wege dieser großen Songwriter, die auf ihre jeweils eigene Art die unbewusste, verdrängte Geschichte Amerikas fortschreiben, ein paarmal gekreuzt. Diesmal lud Simon sogar Dylan ein, ein paar signifikante Zeilen im wunderbar schräg vor sich hinsimmernden Titeltrack „So Beautiful Or So What“ zu singen. Doch Dylan rief nie zurück. Simon sang die Passage dann selbst: „Ain't it strange the way we're ignorant, how we seek out bad advice, and play a game with time and love, like a pair of rolling dice.“

Solchen Unwägbarkeiten zum Trotz wurde Paul Simons zwölftes Soloalbum zu einem künstlerischen Triumph. Wenngleich dieser immer mit Schmerzen verbunden ist. Zwischen seinen Albumveröffentlichungen versinkt Simon stets in eine Art Agonie, zuweilen in tiefere Depression. „Das ist wie bei Pflanzen im Winter“, erklärte er einmal: „Da glaubt man auch, dass gar nichts passiert. Doch tief drin gibt es Veränderungen.“

Diesmal brodelte es nicht nur im Unbewussten des Künstlers. Er veränderte zum ersten Mal seit Langem seine Kompositionsmethode. Jahrelang hatte er zunächst am Rhythmus getüftelt, auf diesen dann den Song gestülpt. Diesmal begann er in alter Manier: allein in einem Raum mit seiner Gitarre. Erst später steckte er seine zuweilen erstaunlich simplen Lieder in verspielte Arrangements, die an sein Weltmusik-Meisterwerk „Graceland“ (1986) erinnern. Honigsüße Doowop-Harmonien, raue Bluesriffs und der Charme des frühen Rock'n'Roll, mit vielen exotischen Instrumenten. Musikalische Brillanz bei gleichzeitiger kindergleicher Naivität – diese Formel hat für Simon auch mit 69 Jahren noch Gültigkeit. Nicht nur für ihn. Auch seinen Epigonen wie Sufjan Stevens und Vampire Weekend sollte das Staunen, das Paul Simon der Welt gegenüber immer noch aufbringt, imponieren.

Zur Person

Paul Simon, geboren 1941 in Newark, New Jersey, hatte schon 1957 einen Hit („Hey, Schoolgirl“) mit Art Garfunkel, mit dem er bis 1970 als Simon and Garfunkel firmierte. Er ist engagiertes Mitglied der Demokratischen Partei. „So Beautiful Or So What“ ist sein erstes Album seit „Surprise“ (2006).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2011)

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